Viele würden das Jahr 2020 am liebsten vergessen, nach vorne blicken und hoffen, dass alles besser wird. Doch das wäre zu einfach und zu pauschal. Denn shit happens; die Frage ist, was man daraus macht – selbst wenn der Shit besonders schlimm und unangenehm ist. Wieso also das Jahr vergessen? Viel sinnvoller ist es doch zu versuchen, aus dieser Zeit zu lernen. Hier sind fünf Dinge, die ich 2020 in Bezug auf das Studium und die Hochschule gelernt habe:
#1 Digital geht auch
Auch wenn wir inzwischen alle die Nase voll haben von Online-Meetings: die letzten Monate haben gezeigt, dass digitale Treffen durchaus eine gute Alternative zu Präsenzterminen sein können. Insbesondere große Vorlesungen eignen sich prima für dieses Format, aber auch kurze Gruppenbesprechungen und Sitzungen könnten in Zukunft das ein oder andere Treffen vor Ort ersetzen.
Das erspart nicht nur die Suche nach geeigneten Räumen für Gruppenmeetings, sondern auch das Herumtragen der eigenen Verpflegung, den elektronischen Endgerät(en) und den schweren Büchern. Besonders spannend wird es aber mit digitalen Tools, die den Studienalltag ergänzen und bereichern: von Miro-Whiteboards über das Arbeiten in Echtzeit mit den Office-Apps bis hin zu einer intensiveren Nutzung von Moodle und Incom – die Lehre und das Studium können davon nur profitieren.
#2 Unsere Studiengänge sind viel zu starr
Nicht alle Studiengänge haben ein relativ freies Wahlpflichtsystem wie im Fachbereich Design. Viele sind stattdessen stark verschult; schon vor Beginn des Studiums ist klar, welche Module in welchem Fachsemester stattfinden werden. Und dann kommt Corona. Plötzlich sind Seminare in Laboren und Werkstätten nur begrenzt möglich, die geplanten Auslandssemester und (Pflicht-)Praktika ebenso. Doch was soll man stattdessen tun, wenn bestimmte Kurse nur einmal im Jahr (aka alle zwei Semester) angeboten werden? Wenn zuerst eine vorgegebene Anzahl an Credits erreicht werden muss, bevor ein Seminar besucht oder eine Klausur geschrieben werden darf? Wenn nur eine begrenzte Anzahl an Prüfungsformen vorgesehen ist?
Gar nicht so einfach, wenn man das eigene Studium nicht unnötigerweise in die Länge ziehen und einen immensen Leistungsdruck aushalten möchte. Doch auch wenn es im digitalen Semester fairerweise sehr viele Probleme auf einmal waren: es ist an der Zeit, die Studiengänge so zu flexibilisieren, dass Abweichungen auch im großen Stil möglich sind. Zum Beispiel mit mehr freien Modulfenstern statt starren Stundenplänen, mit weiteren Prüfungsformaten und mit dem Angebot von wichtigen Kursen in jedem Semester. Die Lebensrealität der Studierenden ist nämlich alles andere als starr.
#3 Studierenden wird vom Bund nicht wirklich geholfen
Nach dem ersten Lockdown im März haben viele Menschen von einem Tag auf den anderen ihre Jobs verloren – darunter auch viele Studierende. Doch während für Unternehmen und Selbstständige in Windeseile Zuschüsse beschlossen werden, stehen die Studierenden ziemlich dumm da. Erst mehrere Monate später stellt das Bundesministerium für Bildung und Forschung seine Antwort auf das Problem vor: Studierende sollen doch einfach ein KfW-Studienkredit aufnehmen und sich erstmal verschulden.
Oder eine monatliche Überbrückungshilfe von bis zu 500 € beantragen. Was zuerst interessant klingt, stellt sich als bizarr heraus: schon ein geringer Kontostand führt dazu, dass die Überbrückungshilfe kleiner wird. Wer beispielsweise 100 € auf dem Konto hat, erhält statt 500 € nur 400 €; wer 200 € hat, erhält nur 300 €, und so weiter. Wer denkt sich sowas aus? Unsere Bundesministerin Anja Karliczek. Nicht ohne Grund fordern Studierendenvertretungen ihren Rücktritt. Schon in der Vergangenheit war die Ministerin durch ihre unzureichende BAföG-Änderung und ihren blöden Kommentar über teure und billige Universitätsstädte negativ aufgefallen. Spätestens jetzt besteht allerdings kein Zweifel mehr daran, dass Studierende überhaupt keine Priorität für die Bundespolitik sind.
#4 Der Campus ist ziemlich cool
Spätestens nach einem ganzen Semester zu Hause muss man zugeben, dass unser Campus schon ziemlich toll ist. So nervig die Pendlerei für Viele sein mag – es hat einfach was, morgens anzukommen und Kommiliton:innen zu treffen, gemeinsam von einem Seminar zum anderen zu laufen, sich über die Mensagerichte aufzuregen, mal in die Bib zu gehen, einen Kaffee mit Freund:innen zu trinken …
Da, wo heute der Videocall eines Seminars aufhört und man plötzlich wieder alleine auf den Bildschirm starrt, würde man sich eigentlich noch kurz unterhalten, Pausenpläne machen, die:den Lehrende:n noch was fragen oder einfach noch ein bisschen sein können, bevor es weiter geht. Vielleicht denkt die:der eine oder andere Berliner:in in Zukunft doch zweimal nach, ob sie:er wirklich die nächste Tram nehmen muss oder doch noch eine Weile am Campus bleibt.
#5 Einfach ausprobieren
Wir Menschen sträuben uns gerne gegen Veränderungen, insbesondere dann, wenn wir aus unserer Komfortzone raus müssen. An der Hochschule ist die demokratische Selbstverwaltung mit ihren vielen Gremien auch prädestiniert dafür, Prozesse zu verlangsamen. Das ist per se auch nicht verkehrt, da man sich die Zeit auch nehmen sollte, um über Veränderungen zu reden und um diese auch zu hinterfragen. Im digitalen Semester hatten wir diese Zeit aber nicht.
Stattdessen durften wir nun das andere Extrem erleben: innerhalb von kürzester Zeit sahen wir uns gezwungen, Neues und Unbekanntes auszuprobieren und mit Learning by doing Prozesse in Echtzeit anzupassen und zu optimieren. Manchmal hat es super geklappt, manchmal gar nicht; es war aufregend, kräfteraubend und zum Glück nur eine (sehr lange) Ausnahmesituation. Das digitale Semester hat dabei nicht nur gezeigt, dass wir Veränderungen wie im Bereich Digitalisierung frühzeitig angehen sollten anstatt zu warten, dass wir dazu gezwungen werden. Sie hat auch gezeigt, dass wir uns viel öfter trauen sollten, Neues einfach auszuprobieren. Und den Mut haben, auch live daran zu scheitern.
Auf ein Neues
Ich freue mich aufs neue Jahr und darauf, dass es deutlich entspannter läuft als 2020. Doch eines ist klar: die Pandemie hat sowohl uns in unserer Lebens- und Studierweise als auch die Hochschule selbst auf Dauer verändert. Diese Zeit gab (und gibt) uns eine andere Sichtweise auf unseren Alltag. Sie bestätigt Bewährtes, deckt Schwächen auf, zeigt uns aber auch neue Möglichkeiten, die uns zukünftig begleiten werden. In diesem Sinne: lasst uns das Beste daraus machen! And let’s get shit done.