Der Wohnungsmarkt in Potsdam ist seit Jahren angespannt. Studierende, die hier nach einer bezahlbaren Wohnung suchen, haben es nicht leicht. Das Studentenwerk Potsdam [sic!] bietet zwar günstige Wohnheimplätze an, doch diese sind komplett belegt und haben lange Wartelisten. Das Verrückte dabei: selbst bei voller Auslastung reichen diese Wohnheimplätze aktuell für nur 9% der Potsdamer Studierenden.
Im Umkehrschluss bedeutet es aber auch, dass 91% der Studierenden über andere Wege nach einer Wohnung suchen müssen. Mit etwas Glück finden sie vielleicht ein WG-Zimmer; falls nicht, können sie entweder ein teures Einzelappartement bezahlen, in eine andere Stadt umziehen oder gleich bei den Eltern bleiben. Seit einem Jahr bietet das Studentenwerk Potsdam nun eine weitere Alternative an: „Wohnen für Hilfe“.
Dahinter verbirgt sich eine simple Idee: Haushalte, die ein freies Zimmer haben, bieten es Studierenden kostenlos oder gegen eine reduzierte Miete an. Dafür erledigt die:der Studi zum Beispiel den Wocheneinkauf, geht mit dem Hund spazieren oder hilft Kindern mit ihren Hausaufgaben. Eine Win-Win-Situation also.
Das Prinzip
Die Faustregel lautet: pro Quadratmeter Wohnfläche leistet die:der Studi eine Stunde Arbeit im Monat. Für ein 12-Quadratmeter großes Zimmer wären es beispielsweise 12 Stunden monatlich. Man kann sich an diese Regel orientieren, muss man aber nicht – der Umfang und die Art der Hilfeleistungen werden gemeinsam festgelegt.
Mögliche Hilfeleistungen:
- Lebensmitteleinkäufe
- Haushaltshilfe (Putzen, Saugen, Spülen, Bügeln …)
- Hausdienste (Straße fegen, Mülltonnen bereitstellen, Winterdienst …)
- Kleine Reparaturen und/oder Renovierungen
- Kinderbetreuung, Hausaufgabenbetreuung
- Begleitung außer Haus (Behörden, Ärzte)
- Schreibarbeiten (Hilfe beim Ausfüllen von Formularen, Hilfe am PC …)
- Technische Hilfe (Computer, Handy)
- Kulturelle Angebote (Sprach- oder Musikunterricht)
- Gesellschaft leisten (gemeinsam kochen und spazieren gehen)
- Versorgung von Tieren
- Haus hüten in Abwesenheit der Mieter:innen
- Pflegeleistungen sind ausgeschlossen!
Quelle: Studentenwerk Potsdam
Das Studentenwerk Potsdam berät und vermittelt kostenlos die Wohnpatenschaften zwischen interessierten Studierenden und Wohnraumgebenden. Auch nach der Vermittlung werden Studierende nicht alleine gelassen – das Studentenwerk meldet sich in regelmäßigen Abständen bei beiden Wohnpartner:innen und fragt nach, ob alles passt oder ob Unterstützung gebraucht wird. Das Projekt zielt auf ein Zusammenleben über die gesamte Studiendauer ab.
„Neben der Minderung der Wohnungsnot für Studierende steht auch ganz klar das Soziale im Fokus“ erklärt die Pressesprecherin des Studentenwerks Potsdam, Julia Sammler. „Man lernt Menschen kennen, denen man sonst vielleicht gar nicht begegnet wäre.” Auch internationale Studierende bekämen so einen guten Einblick in das hiesige Leben.
Potsdam ist eine von 34 Städten bundesweit, die an „Wohnen für Hilfe“-Projekten beteiligt sind. Etwa die Hälfte davon davon werden direkt von Studierendenwerken betreut; in anderen Städten wird das Projekt von Studierendenvertretungen, Hochschulen oder den Städten selbst koordiniert.
Eine FHP-Studentin probiert es aus
Béatrice Dippold studiert Archiv im zweiten Semester. Sie kommt aus Bayern und wohnt seit Beginn ihres Studiums in Stahnsdorf, in der Nähe von Potsdam. Sie ist begeistert von dem Projekt und findet, dass es eine gute und kostengünstige Alternative ist.
Béatrice, wie kam es dazu?
„Das hatte mehrere Gründe: Zum einen, weil man jetzt wegen Corona und dem Lockdown gern ein bisschen Gesellschaft hat und man so nicht komplett verrückt wird. Dann, weil ich eigentlich gerne ein soziales Jahr gemacht hätte, mich aber dann doch gleich fürs Studieren entschieden hatte und fand, dass dieses Projekt eine gute Alternative dazu ist. Außerdem fand ich das Projekt von Anfang an interessant und ich dachte mir, dass man immer was Neues ausprobieren kann. Und wer weiß, vielleicht macht es sich auch noch gut im Lebenslauf oder bei Bewerbungsgesprächen.“
Wie lief die Bewerbung ab?
„Es war eigentlich ganz einfach, ich musste mich nur beim Studentenwerk per E‑Mail für das Projekt anmelden bzw. bewerben. Es wurden dann ein paar E‑Mails und Formulare hin- und hergeschickt und auch ein paar Telefonate geführt, wo unter anderem geklärt wurde, was ich für „Hilfe“ anbieten würde und was absolut nicht in Frage kommt. An sich war alles sehr entspannt.
Zu guter Letzt war dann Ende September letzten Jahres die Vertragsunterzeichnung, in dem zum Beispiel festgelegt ist, welche Aufgaben ich erledige. Auch die Arbeitsstundenanzahl ist dort vertraglich geregelt, denn es gilt die Faustregel, pro Quadratmeter des persönlichen Zimmers muss man eine Stunde im Monat seine Aufgaben erledigen.“
Wo wohnst du und was sind deine Aufgaben?
„Ich wohne jetzt in einer 3‑Zimmer-Wohnung mit Garten in Stahnsdorf, also außerhalb von Potsdam. Mir selbst gehört ein 11m²-Zimmer, ich darf aber alles in der Küche, im Bad und im Wohnzimmer mitnutzen. Meine Aufgaben sind sehr simpel. Ich muss eigentlich nur gelegentlich mit dem Hund spazieren gehen und auf ihn aufpassen, wenn sie [die Wohnungsgebende] nicht da ist.“
Und wie läuft es? Wie ist es im Vergleich zu einer eigenen Wohnung?
„Es läuft super eigentlich, weil ich mich echt gut mit ihr und dem Hund verstehe. Der Unterschied zu einer eigenen Wohnung ist, dass man einfach nicht alleine wohnt und man mit der anderen Person kommunizieren muss. Der Kostenfaktor ist auch ein großer Unterschied zu einer eigenen Wohnung, weil ich vielleicht ein Drittel von dem zahle, was es bei einer eigenen Wohnung wäre. Das fiel mir anfänglich echt nicht leicht, aber mittlerweile mach ich doch auch Fortschritte. Ein Nachteil, den ich vielleicht sehe, ist, dass man sich anfänglich an die Person anpassen muss, weil jede:r andere Angewohnheiten und Methoden hat. Man findet aber ziemlich schnell Kompromisse.“
Was würdest du Interessent:innen raten?
„Das wichtigste meiner Meinung nach ist, dass man zuverlässig ist. Man sollte auch im Hinterkopf behalten, dass man bei jemandem wohnt und somit auch mindestens ein bisschen mit der Person zusammen etwas unternimmt. Es reicht ja schon, wenn man ab und zu zusammen am Küchentisch sitzt und redet. Communication is key.“
Das Projekt
Seit dem Projektstart 2020 haben sich neben Béatrice etwa 60 Studierende beim Studentenwerk Potsdam gemeldet. Interessierte Haushalte gab es bis jetzt nur zwölf, vermutlich durch Corona bedingt. Die bisher am häufigsten gewünschten Hilfeleistungen der Wohnraumgebenden: Hundesitting und Nachhilfeunterricht.
Tatsächlich scheint das Projekt eine solide Alternative für Studierende zu sein, die einen Wohnraum für ihr Studium in Potsdam suchen; vor allem wenn Kurse wieder auf dem Campus stattfinden und sowohl Pendelzeit als auch Campusleben eine größere Rolle spielen. Lösen wird es die allgemeine Wohnraumknappheit allerdings nicht – laut Deutschem Studentenwerk [sic!] kann dieses Projekt sowieso nur eine „Ergänzung [sein], um die Notlage zu mildern“. Dringend erforderlich sei eigentlich ein Ausbau der Wohnheimplätze.
Doch wie sieht es mit neuen Wohnheimplätzen in Potsdam aus? Zurzeit plant das Studentenwerk Potsdam das Projekt „Golm 2“, eine Wohnanlage mit ca. 350 Plätzen, welche an der Stelle eines ehemaligen Wohnheims auf dem Campus Golm entstehen soll. Verglichen mit der ursprünglichen Nutzung sind es unterm Strich etwa 300 Plätze mehr als davor. Zudem werden gerade zwei weitere Bauprojekte in Potsdam geprüft, so die Pressesprecherin Julia Sammler.
Bei mehr als 25.000 Studierenden in Potsdam wird es in den kommenden Jahren also weiterhin knapp bleiben mit dem bezahlbaren Wohnraum. Wenn Stadt und Land nicht großflächig in günstigen Wohnraum investieren, wird sich die Situation zukünftig eher verschärfen, insbesondere für einkommensschwache Studierende. Da bleibt es nur zu hoffen, dass mit diesem Angebot viele neue Wohnpatenschaften entstehen – denn jeder Wohnplatz zählt.
Mehr Infos zum Projekt: