„Nein, wir meinen das ernst. Könnten Sie uns bitte an den zuständigen Arzt weiterleiten?“ Etwas verzögert bekommt Antonia Gerstner dann doch noch eine Antwort. Sie sitzt gemeinsam mit ihrer Kommilitonin Kirstin Friese gespannt vor dem Handy und stößt zunächst auf Verwunderung und Unglaubwürdigkeit bei der Krankenpflegerin am anderen Ende der Leitung. „Ok, dann kommen sie nächste Woche für den CT-Scan ihrer Truhe vorbei. Der Arzt schiebt sie zwischen zwei Patienten.“
Es ist ein eisiger Wintertag an dem Antonia und Kirstin einen langen, weißen Krankenhausgang entlang schreiten. Im Schlepptau eine Zunfttruhe, deren Deckel mit Hilfe eines CT-Scans untersucht werden soll. Ungläubige und verwunderte Blicke sind auf sie gerichtet. Angekommen im Untersuchungsraum nimmt der Arzt sich zehn Minuten Zeit, den beiden Restauratorinnen alle verschiedenen Aufnahmemöglichkeiten zu zeigen. Anschließend bearbeitet er die aufgenommenen Bilder kurz, sodass die beiden sie weiter verwenden können.
Wieso ist so eine Untersuchung für den Arbeitsverlauf notwendig? Was genau macht man in der Restaurierung? Macht man da alte Dinge wieder neu? Wozu braucht man denn dafür ein Studium, ist das nicht ein handwerklicher Beruf? Mit wissenschaftlicher Arbeit hat das wohl eher nichts zu tun, oder? Von vielen außenstehenden Personen, die nicht mit dem Berufsbild vertraut sind, werden die Restauratorinnen oftmals mit solchen oder vergleichbaren Fragen konfrontiert. Dies bestärkt sie aber ihrer Leidenschaft weiter nachzugehen, denn gerade diese spannende Mischung aus Handwerklichem und Wissenschaftlichem macht den Beruf des*der Restaurator*in aus. Da sind die beiden sich einig.
Antonia Gerstner und Kirstin Friese, beide 23 Jahre alt, studieren im sechsten Semester Konservierung und Restaurierung von Holzobjekten an der Fachhochschule Potsdam. Die Regelstudienzeit umfasst sieben Semester. „Als wir begannen, gab es die Vorschrift ein zwölf monatiges Pflichtpraktikum vor Studienantritt zu absolvieren, was dieses Jahr jedoch abgeschafft wurde“, erzählt Kirstin. Das Studium besteht aus zwei Teilen, einem Grundstudium und einem darauffolgenden Vertiefungsstudium. In den ersten drei Semestern geht es darum theoretische Grundlagen zu erlernen, die im späteren Verlauf des Studiums angewendet werden sollen. Im vierten Semester absolvieren sie für fünf Monate ein Praktikum. Das darauffolgende Vertiefungsstudium legt den Schwerpunkt auf die theoretische Vertiefung, sowie auf die praktische Anwendung dieser.
Anhand eines Objekts, welches die Studierenden Anfang des zweiten Semesters selbst auswählen können, soll es ihnen gelingen ihr theoretisch erlerntes Wissen direkt am Objekt zu testen, auszuprobieren und zu festigen. Das Objekt wird zunächst ausführlich untersucht und später restauriert. Antonia und Kirstin entschieden sich für eine circa 60cm breite barocke Zunftlade der Böttcher aus dem Jahr 1727, die ihnen das Städtische Museum Braunschweig zur Verfügung stellt. Nach Antonia ist einer der Hauptgründe, weshalb sie sich damals für dieses Objekt entschieden, dass es „viele sogenannte „Alt-Restaurierungen“ an der Truhe [gibt]. Sie wurde wohl in den 90er Jahren als Versuchsobjekt von angehenden Restaurator*innen im Handwerk oder Tischlergesell*innen verwendet. Da müssen wir dann überlegen, wie wir damit umgehen, ob wir das als Teil der Geschichte ansehen oder ob wir eher das historische Bild herstellen möchten, indem wir dann Teile dieser früheren Überarbeitungen wieder entfernen und möglicherweise passendere hinzufügen.“
Ergänzend räumt Kirstin ein: „Die Alt-Restaurierungen waren ein Punkt, bei dem wir viel überlegt haben. Wie geht man damit um und nach welchen Kriterien geht man vor. Wir mussten uns einen Plan erstellen, wie wir die Ergänzungen letztendlich bewerten, da die Restaurierungsethik eigentlich besagt, dass alle Veränderungen zu der Geschichte des Objekts dazu gehören. Man muss dann abwägen inwiefern der Nutzen im Vordergrund steht, das historische Zeugnis oder ob tatsächlich die Überarbeitungen in diesem Fall wichtiger sind.“ Da es sich bei dem Objekt um ein repräsentatives und handwerklich hochwertiges Exemplar einer Zunfttruhe handelt, ist die Herstellung eines einheitlichen Erscheinungsbildes, mit dem Fokus auf dem Erhalt der historischen Zeugnisse das definierte Ziel. Dadurch kann die Lade in Zukunft wieder museal ausgestellt werden und die Darstellung der Geschichte des Zunftwesens unterstützen.
Um die Zunftlade im Vertiefungsstudium zu restaurieren, haben die beiden Restauratorinnen sich mit unterschiedlichen Disziplinen sowie Methoden auseinandergesetzt und dabei wissenschaftlich und interdisziplinär gearbeitet. Das Studium der Konservierung und Restaurierung umfasst die verschiedensten Wissenschaften; Studierende greifen bei dem Umgang mit Objekten nicht nur auf ihre restauratorischen Fähigkeiten, sondern auch auf ein breites Wissen innerhalb der Kunst- und Kulturgeschichte zurück. Ebenfalls beschäftigen sie sich ausführlich mit den naturwissenschaftlichen und materialspezifischen Begebenheiten, sowie den bauphysikalischen und bauklimatischen Einflüssen ihrer Objekte.
In der einleitenden Recherchephase des Prozesses wurden Themen wie Herkunft, Aufbau, Nutzen und Materialbeschaffenheit des Objektes aufgegriffen. „Am Anfang ist es wichtig, dass man den Zustand dokumentiert. Man erstellt Schadenskartierungen, um zu zeigen, was es für Schäden gibt und um herauszufinden, wodurch diese entstanden sein könnten. Je mehr man sich damit beschäftigt, desto mehr findet man heraus“, berichtet Antonia. Dadurch bekommen die Studierenden die Möglichkeit, sich mit der Geschichte des eigenen Objektes auseinanderzusetzen und ein Verständnis für dieses zu gewinnen. Anhand einer kunst-kulturhistorischen Recherche werden nach der Schadenskartierung Fragen wie: „Was ist eine Zunftlade? Wer sind die Böttcher? Aus welcher Zeit kommt die Lade? Und woher stammt sie?“ gestellt, so Kirstin.
Ein großer Bestandteil der Recherchephase ist die Untersuchung der Materialbeschaffenheit. Hierbei finden die naturwissenschaftlichen Fächer ihren Nutzen. Während in der Holzbiologie materialspezifische Kenntnisse wie das Quellen und Schwinden von Holz und somit auch dessen Verhalten in Kombination mit anderen Materialien hilfreich bei der Prävention von weiteren Schäden sind, helfen bauphysikalische Einflüsse und bauklimatische Vorgaben wiederum die konservatorischen Maßnahmen auch dauerhaft beizubehalten. In der Konservierung und Restaurierung findet zudem die Chemie mehrere Anwendungsbereiche. So können zum Beispiel UV-Licht-Untersuchungen Hinweise auf verschiedene Oberflächenbeschaffenheiten der Truhe geben.
„Unterschiedliche Beschichtungen haben teilweise unterschiedliche Fluoreszenzen. Bei uns leuchtet es relativ orange, was ein Hinweis auf Harz sein kann. Wir können also davon ausgehen, dass es sich eventuell um eine Harzmischung oder eine Harz-Ölmischung handelt“, erläutert Antonia. Eine weitere Methode ist das Arbeiten mit Querschliffen. „Dafür nimmt man eine kleine unauffällige Probe von einer repräsentativen Stelle, die man in Kunstharz einbettet, anschließend schleift und poliert. Dabei entsteht eine Schichtenfolge, die man unter dem Mikroskop anschauen kann“, erklärt Kirstin.
Moderne Methoden wie 3D-Druck ziehen die angehenden Restauratorinnen ebenfalls in Betracht. Kirstin beschreibt eine passende Situation dazu: „Manchmal ist es aus konstruktiven Gründen nötig, Ergänzungen vorzunehmen. Wir haben uns dazu entschieden, die Füße mittels eines 3D Druckers auszudrucken, bei denen dann klar ist, dass diese nicht Teil des Originals sind. Da wir keinerlei Anhaltspunkte haben, wie sie ausgesehen haben und wir nur wissen, dass welche da waren, möchten wir durch einen klaren Unterschied des Materials zeigen, dass es im Nachhinein hinzugefügt wurde und nur eine mögliche Form der Füße darstellt.“
Während der Untersuchung kann es passieren, dass Situationen auftreten, mit denen man zunächst nicht gerechnet hat. Antonia und Kirstin beschreiben so eine Situation: „Das Schlüsselloch der Lade liegt versteckt unter einer Profilleiste. Wir dachten diese sei nur eine Ergänzung. Beim vorsichtigen Ausprobieren bemerkten wir allerdings, dass man sie nach vorne aufschieben konnte. Das war ein richtiges Glückserlebnis, als hätte man ein Geheimfach gefunden“, berichtet Antonia.
Bei der kunsthistorischen Suche nach Vergleichsobjekten von barocken Zunftladen fiel auf, dass es einige gab, bei denen der Deckel tatsächlich eine Art Geheimfach besaß. Vermutlich zur Aufbewahrung eines Schlüssels. Durch Aufschieben zu einer Seite wurde ein Hohlraum oder sogar ein ausgebautes Fach frei. Die kulturhistorische Nutzung und Öffnung von Zunftladen schien damals ein bedeutender und ritueller Vorgang zu sein, berichten die angehenden Restaurator*innen. Aufbewahrt wurden in ihr alle wichtigen Dokumente und Geld.
Anhand dieser Informationen sowie der Besonderheit des Schlüssellochs, ließen die beiden vermuten, dass sich etwas im Deckel befinden könnte und dieser sich vielleicht auch an einer Stelle aufschieben ließe.„Man konnte den Aufbau zum Teil erkennen, wir wollten es aber genauer wissen“, berichtet Kirstin. Von ihren Professor*innen erhalten sie während ihres Arbeitsprozesses wertvolle Tipps. Unter anderem raten sie den beiden die naturwissenschaftlichen Untersuchungen mittels einer Computertomographie fortzusetzen.
Antonia und Kirstin beschreiben es als „abstrakte Situation“ mit einer Lade ins Krankenhaus zu fahren, um diese durch einen CT-Scan analysieren zu lassen. Angekommen im Krankenhaus, zeigte der Arzt den beiden Restauratorinnen die vielfältigen Aufnahmemethoden. „Es gibt eine für Knochen, eine für Gewebe, eine Methode, mit der man sich die Lade in 3D Modellform anschauen oder die einzelnen Schichten der Lade begutachten kann“, so Antonia. „Zwar haben wir keinen geheimen Schließmechanismus im Deckel gefunden, jedoch konnten wir sehr aufschlussreiche Informationen über den konstruktiven Aufbau des Deckels sowie der restlichen Lade ziehen. Deswegen war es echt gut, dass wir die Möglichkeit hatten einen CT-Scan durchführen zu lassen. Vor allem, dass es so problemlos von Seiten des Krankenhauses funktionierte“, kommentiert Kirstin.
Dieser Arbeitsprozess macht deutlich wie essenziell es ist, dass bei der Restaurierung unterschiedliche Wissenschaften ineinandergreifen. Die gewonnenen Informationen der Wissenschaften dienen als Grundlage für die weiterführende Forschung. Die kommenden zwei Semester wollen Antonia und Kirstin dazu nutzen die Restaurierung an der Zunftlade abzuschließen. „Generell soll es danach nicht wie neu aussehen, es soll immer noch ein barockes Möbelstück mit Geschichte sein. Wir versuchen nicht etwas auf Hochglanz zu polieren … es ist eben ein altes Objekt mit historischem Hintergrund, welches wir erhalten möchten“, erklärt Antonia.
Was für eine Vielfalt das Studium der Konservierung und Restaurierung bietet, zeigt sich bei den verschiedenen Interessen der beiden Restauratorinnen. Kirstin interessiert sich vor allem für das Aneignen der theoretischen Grundlagen und das Anwenden der naturwissenschaftlichen Praktiken, während Antonia besonders die handwerkliche Anwendung des erlernten Wissens und des Restaurierungskonzeptes begeistert.
Nach ihrem Bachelorabschluss wollen die beiden an der Fachhochschule Potsdam ihr Masterstudium absolvieren. Aus Kommilitoninnen sind Freundinnen geworden, die sich gemeinsam mit ihrer Zunftlade weiterentwickeln und dabei nie die Freude am Restaurierungsprozess verlieren. So zeichnet es Antonia und Kirstin aus, dass sie humorvoll und gleichzeitig bestimmend auf die Frage der Krankenschwester antworten können: „Nein, sie sind nicht im Radio. Wir sind angehende Restauratorinnen und würden gern vorbeikommen.”
Über das Projekt
Dieser Beitrag ist im Kurs „Presse- und Öffentlichkeitsarbeit in der Restaurierung“ entstanden, eine Kooperation zwischen den Studiengängen Kulturarbeit und Konservierung & Restaurierung unter der Leitung von Prof. Dr. Julia Glesner und Prof. Dr. Angelika Rauch im Sommersemester 2019.
Mitwirkende
Rosalie Mesgarha, Lilli Berlin, Maya Buhlmann, Nicolle Banus, Kirstin Friese und Antonia Gerstner