Anlässlich des 30. Jubiläums der FH Potsdam werfe ich einen Blick auf die Geschichte der Hochschule. Drei Mitarbeiter:innen, die seit Beginn der 1990er Jahre an der Hochschule sind, erzählen, wie sie die neu gegründete FH damals erlebt haben, was für sie „typisch FH“ ist und welche Wünsche sie für die Zukunft haben.
Sie gehören zu den Mitarbeiter:innen mit dem höchsten Dienstalter an der FHP. Können Sie sich kurz vorstellen?
Matthias
Mein Name ist Matthias Schreckenbach und ich bin in dieser Runde der Dienstälteste, seit dem 1. März 1992 an der Hochschule. Ich bin Sozialarbeiter und Sozialmanager und habe verschiedenste Aufgaben hier in der Hochschule gehabt. Bei dem Herfahren heute habe ich daran gedacht, dass ich damals der erste akademische Mitarbeiter im Senat war, weil es einfach außer mir keinen gab! (lacht)
Und dann über die verschiedensten Ämter, vom Studiengangsleiter Soziale Arbeit online bis jetzt hin zum Studiengangsleiter Soziale Arbeit Präsenz und zum Studiendekan. Ich war immer mal wieder Mitglied im Senat, Fachbereichsratsvorsitzender war ich zwischendurch mal, habe also diverse Funktionen in der Hochschule durch. Inhaltlich vertrete ich den Bereich der Hilfen zur Erziehung; alles was mit Familie zu tun hat im Sozialarbeiterischen, und alles was mit Führung und Leitung zu tun hat im Sozialmanagement-Masterstudiengang.
Patrizia
Warst du 1992 nicht auch schon Praktikumsbeauftragter?
Matthias
Stimmt, das war ich tatsächlich. Inzwischen heißt es ja nicht mehr Praktikum, sondern Transfer. Das hat inhaltliche Gründe, es ist also tatsächlich nicht nur eine Label-Änderung. Aber da mache ich nicht mehr ganz so viel, es sind eher die Kolleg:innen, die es in den letzten Jahren übernommen haben.
Marion
Mein Name ist Marion Hardel und ich arbeite seit dem 1. Oktober 1992 hier, zuerst in der damaligen Abteilung Studentische Angelegenheiten. Dort habe ich als Sachbearbeiterin begonnen und auch Studierende mit eingeschrieben und Rückmeldungen erledigt. Und im Jahr 1994 kristallisierte sich dann die Arbeit im Prüfungsamt heraus. Ich war dort die Hauptsachbearbeiterin, habe fachbereichsübergreifend gewirkt und auch die Fachbereiche Design und Bauingenieurwesen betreut.
Und dann kam im Jahr 2004 noch die Beteiligung an der Gremienarbeit mit dazu, also die Beteiligung an Genehmigungsverfahren für Studien- und Prüfungsordnungen, Auswahlsatzung, Praktika und so weiter. Und momentan bin ich Hauptsachbearbeiterin vom Prüfungsservice. Ich betreue weiterhin den Fachbereich Design und vom Fachbereich Bauingenieurwesen jetzt momentan nur die Masterstudierenden. Zwischenzeitlich habe ich auch noch den usbekischen-deutschen Masterstudiengang betreut und auch russische Zeugnisse geschrieben.
Patrizia
Ich bin Patrizia Reicherl und seit dem 1. August 1994 hier. Ich kam damals von der FH Brandenburg, an der ich als erste Pressesprecherin einer brandenburgischen Fachhochschule vom Mai 1993 bis Juli 1994 tätig war. Die Fachhochschulen wurden damals ohne Stellen für Öffentlichkeitsarbeit gegründet, die Stelle war im Stellenplan einfach nicht vorgesehen. Es hat sich aber schnell herausgestellt, dass das doch notwendig war.
Und nachdem die FH Brandenburg eine Stelle für Pressearbeit eingerichtet hatte, hat die Fachhochschule Potsdam nachgezogen. Dann bin ich praktisch zum August 1994 an die FH Potsdam gewechselt. Aktuell bin ich Geschäftsführerin des Senats, der Ständigen Kommission für Studium und Lehre und für Gremienwahlen und kümmere mich darum, dass die Amtlichen Bekanntmachungen auf dem aktuellen Stand sind und den Normen entsprechen.
Sind Sie sich in den letzten dreißig Jahren überhaupt begegnet?
Marion
Ja, wir hatten dienstlich miteinander zu tun.
Matthias
Andauernd eigentlich, oder? In den unterschiedlichsten Funktionen auf den unterschiedlichsten Ebenen. Mal sehr formal, mal sehr kollegial-freundschaftlich. Mal schnackend, mal lästernd … (lacht)
Wie sind Sie zur FH gekommen?
Patrizia
Na ja, ich weiß jetzt gar nicht, ob man das offiziell sagen sollte, aber es gab 1994 im April den ersten gemeinsamen Messeauftritt einiger brandenburgischen Fachhochschulen auf der Hannover-Messe. Und da hat mich Herr Knüppel (Gründungsrektor der FH Potsdam, Anm. d. Red.) eingeladen, mich auf die Stelle der Öffentlichkeitsarbeit zu bewerben, da sich die FH Potsdam auch entschieden hatte, eine Stelle für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit einzurichten. Und dann bin ich gewechselt.
Damals besuchte der Rektor also noch Messen.
Patrizia
Ja klar, für die brandenburgischen Fachhochschulen war es damals unglaublich wichtig, sich zu präsentieren und überhaupt deutlich zu machen, dass sie da sind. Sowohl die FH Potsdam als auch die FH Brandenburg hatten ja in dem Sinne keine Vorgänger, und Brandenburg an der Havel war ja auch noch nie Hochschulstadt gewesen. Anfang der 1990er hatten die technisch-orientierten Studiengänge ziemliche Schwierigkeiten, Studieninteressierte zu finden. Deshalb wurde an der FH Brandenburg auch die Stelle für Öffentlichkeitsarbeit eingerichtet.
Da ging es tatsächlich darum, überhaupt die Fachhochschule als existent bekannt zu machen, ihr Profil zu verdeutlichen und vor allem Studieninteressierte in den technischen Fächern zu gewinnen. Dabei ging es auch darum, im Westen Kontakte aufzubauen.
Marion
Ich musste mich nach der Wende beruflich umorientieren. Ich hatte studiert und habe zum damaligen Zeitpunkt gehofft, dass es Parallelen gibt, wenn man sich an einer Hochschule bewirbt. Das ist dann im Grunde auch so gewesen, mit dem Studienalltag war ich vertraut. Und dann hat mir die Arbeit einfach Spaß gemacht, also der Kontakt zu den Studierenden und mit Rat und Tat zur Seite stehen zu können. Und dann bin ich halt hier geblieben.
Was haben Sie davor beruflich gemacht?
Marion
Ich habe Technologie des elektronischen Gerätebaus studiert. Vorher hatte ich Elektronik-Facharbeiter mit Abitur gelernt, dann das Elektronik-Studium abgeschlossen und in Teltow in einem Großbetrieb gearbeitet. Aber diese sind dann mit der Wende geschlossen worden, und dann war es leider vorbei. Es war nicht so schön, aber man musste ja irgendwie nach vorne blicken. Und das hat auch geklappt.
Matthias
Ich glaube, ich bin mehr durch Zufall hier gelandet. Während der Gründungszeit hier war die Kollegin Henke die Gründungsdekanin des Fachbereichs Sozialwesen. Und die hatte Unterstützung von einem ASH-Kollegen bekommen, also der Sozialarbeits-Ausbildungsstätte in Westberlin. Ich hatte mit dem Kollegen damals zusammen Weiterbildungen in Jugend-Freizeiteinrichtungen in West-Berlin gemacht. Und just als ich aus einem Urlaub wiederkam, hatte er einen Zettel auf meinen Tisch gelegt: Kannst du dir nicht vorstellen, an der Fachhochschule Potsdam zu arbeiten? Ich war da gerade 30 geworden und dachte: das überfordert dich jetzt alles, was sollst du da und was willst du da eigentlich und überhaupt?
Walter hat mir dann aber gut zugeredet. Und eigentlich ist das ein bisschen tragisch: der Hintergrund war, es gab hier drei Kolleginnen, die aus der ehemaligen Gelbke-Schule kamen, also der Fürsorgerin- oder Sozialarbeits-Schule hier in Potsdam. Eine Kollegin ist tatsächlich leider sehr frühzeitig verstorben und dadurch war eine Stelle vakant. Und dann hieß es: Okay, schauen wir mal, ob wir jemanden haben, der Lust darauf hat, Praxistransfer und Praxistheorie zusammenzubringen.
Und dann war ich just auf einmal in der Hochschule. Und dachte: guckst du dir den Laden mal fünf Jahre an. Und jetzt sind nach fünf Jahren irgendwie 30 vergangen und ich gucke sie mir immer noch an. (lacht) Ich hätte mir das nicht vorstellen können, tatsächlich. Ich war gerne in der Praxis und da glaube ich auch ganz gut. Ich habe damals ein Gemeinwesenzentrum geleitet und viele kleine praktische Sachen nebenher gehabt; war Pflegevater. Und Hochschule war mir eigentlich ganz fern. Dann kam der Einstieg doch relativ flott und so ist es dann geblieben.
Du sagtest, Marion, dass du ost-sozialisiert und auf Jobsuche warst. Eine große Herausforderung für mich war es, als ich ankam und die Studierenden gesagt haben: „Ihr Besserwessis!“. Den Fachbereich Sozialwesen und Soziale Arbeit gab es in der Form in der ehemaligen DDR nicht. Und ich hatte am Anfang viele Konfrontationen mit Studierenden, die natürlich auch mit Ost-Sozialisation hier ankamen.
Es gab nur zwei Kolleginnen, die hauptamtlich in der Lehre waren und auch aus der ehemaligen DDR kamen, plus die beiden Kollegen, mit denen ich arbeitete. Und da gab es am Anfang viele Auseinandersetzungen und Reibereien. Wenn wir über Jugendarbeit erzählt haben, sagten einige: Ihr habt keine Ahnung von dem, wie es uns in unserem System erging, was wir mitgebracht haben und so weiter. Das war schon eine ganz wilde, aber trotzdem unfassbar spannende Zeit. Wir waren ein kleiner, überschaubarer Kreis an Kolleg:innen, mit viel Austausch und unfassbar viel Dynamik, auch was unseren Fachbereich betraf.
Patrizia
Wenn man in einen anderen Kulturkreis fährt und zum Beispiel dann die Sprache nicht kann, dann ist auch klar, dass man vieles nicht versteht. Aber da wir ja vordergründig die gleiche Sprache gesprochen haben, war es oft unglaublich schwer festzustellen, dass wir eigentlich über völlig unterschiedliche Dinge gesprochen haben. Es gab ganz viele Verständigungsprobleme. Das war anstrengend und total spannend. Es prallten unglaublich viele, sehr unterschiedliche Vorkenntnisse und Lebenshaltungen aufeinander und das ist das, woran man heute immer noch irgendwie mit Schmunzeln denkt.
Aber es war tatsächlich schon so ein Annäherungsprozess, der gerade für die Kolleginnen aus der abgewickelten DDR total schwierig war, denn die Fachhochschule Potsdam war so ein Beispiel für die „Westübernahme“. Das hatte schon ziemliches Konfliktpotenzial, vor allem im Studiengang Soziale Arbeit, weil der größte Teil der Studierenden eine Ost-Sozialisation hatte. Aber auch die Kolleg:innen der meisten Fachbereiche, also die Dekanatsmitarbeiter:innen und Verwaltungsmitarbeiter:innen, waren aus der Region, während die Professor:innen zu bis zu 80 Prozent aus dem Westen kamen. Da knallten schon viele unterschiedliche Lebensvorstellungen, viele unterschiedliche Normalitäten aufeinander.
Marion
Und dann wurde es auch als notwendig gesehen, dass die Ossis angepasst werden. Es gab dann sogenannte Anpassungs-Fortbildungen für die Laufbahnen des mittleren Dienstes. Mitunter musste man dann schon schlucken, was einem da offeriert wurde. Denn grundsätzliche Dinge gab es bei uns auch, die waren nicht anders. Aber es wurde so suggeriert.
Matthias
Es gab aber schon sprachliche Unterschiede. Ich wusste zum Beispiel nicht, was ein Broiler ist. (lacht)
Marion
Ja, aber das ist sogar in Deutschland insgesamt sehr unterschiedlich. Ich habe nun in Sachsen studiert, und habe nicht verstanden , als mir meine Kommiliton:innen erzählt haben: „Wir können noch Erper essen“. Wie bitte? Kartoffeln! Ja, kannte ich auch nicht. Das war und ist auch regional sehr unterschiedlich.
Matthias
Völlig klar. Manchmal musste man aber etwas schmunzeln.
Patrizia
Das waren aber die offensichtlichen Sachen. Problematisch war das, was eben nicht offensichtlich war.
Matthias
Ja, vor allem das Nichtwahrnehmen. Bei unseren Studierenden waren wir nicht in der Lage, mit unserem Westblick bestimmte Dinge zu wissen. Wir sind also nicht durch eine Pionierzeit gegangen oder sonstiges, sondern hatten keine Ahnung von dem und haben mit unseren Theorien an einer Lebenswelt angesetzt, die für die Ost-Studierenden gar nicht zutraf. Und dann diese Nachqualifizierungs-Nummer, die du gerade gesagt hast, für ehemalige Erzieher:innen, Heimerzieher:innen und so weiter, die nachqualifiziert werden mussten oder wollten oder sollten. Da hieß es: „Sind wir dafür bereit?“. Es gab viele heftige Auseinandersetzungen. Aber irgendwie haben wir uns berappelt.
Was war die FHP damals für ein Ort?
Patrizia
Ein Ort des Wahnsinns-Aktionismus. (lacht) Der größte Teil von uns hat gefühlt rund um die Uhr gearbeitet, weil ein neues Projekt das nächste jagte. Und uns bis 1996, als die Konsolidierungsdebatte anfing, wirklich überschlagen haben. Es wurden innerhalb von ein paar Jahren sämtliche Studiengänge eingerichtet und zig Personal eingestellt mit Berufungsverfahren und Stellenbesetzungen … Es war ja alles im Aufbau. Das fing an mit den 144 Studierenden, die aus der Gelbke-Schule kamen, und mit einem Personal, das man an zwei Händen abzählen konnte: der Gründungsrektor, der Gründungskanzler, ihre Mitarbeiterinnen, dann die drei Professor:innen und die zwei Mitarbeiter:innen im Sozialwesen.
Und daraus wurde in nullkommanix, also innerhalb von zwei Jahren, eine bestehende Verwaltung. Da gab es fünf Fachbereiche und auch die ganzen anderen Projekte. Es gab Versuche, bestimmte Studiengänge einzurichten, die zum Teil geglückt sind, wie die Kulturarbeit, oder eben auch irgendwann ad acta gelegt wurden, wie der Studiengang Öffentlichkeitsarbeit. Es gab immer Aktivitäten im Transfer, der Kontakt in die Region musste aufgebaut werden, und das alles gleichzeitig. Und das mit einem Gründungsrektor mit einer unglaublichen Power und einer unglaublichen Dynamik.
Matthias
Und einer unfassbaren politischen Durchsetzungskraft, dass muss man schon sagen. Das hat die Hochschule am Anfang schon sehr gestärkt.
Marion
Und er kannte jede:n und konnte jede:n mit Namen ansprechen. Es war beeindruckend.
Matthias
Wir haben aus dem Vollen geschöpft am Anfang. Man hatte den Eindruck, es gibt keine Begrenzung. Man hat zwar geahnt, dass nicht alles so aufgehen wird, wie es einmal erzählt worden ist. Aber trotzdem war am Anfang eine Menge möglich.
Patrizia
Und was mich damals an der FH Potsdam fasziniert hat, war schon dieser interdisziplinäre Ansatz, der Hochschule unter einem Dach. Den gemeinsamen Ort hatten wir zwar erst 2017, als die letzten Fachbereiche von der Friedrich-Ebert-Straße auf den Campus gezogen sind. Aber ich meine vor allem die Interdisziplinarität, den Austausch untereinander und den Versuch, fachliche Grenzen auszutesten und gesellschaftliche Fragestellungen aus unterschiedlichen fachlichen Perspektiven gemeinsam anzugehen. Und damit die Vorstellung, dass die Studierenden lernen, sich selbst so zu verstehen, dass ihre fachlichen Fragen nie nur aus ihrer Perspektive zu sehen sind.
Viele sagen, diese Interdisziplinarität war aufgesetzt und dass es sie eigentlich gar nicht gab. Aber aus meiner Sicht gab es sie von Anfang an. Der Gründungsrektor hat es immer am Beispiel der Stadt deutlich gemacht: es geht nicht nur darum, eine Stadt zu entwerfen, wie es die Architekt:innen machen, oder um sie zu bauen, wie es die Bauingenieur:innen machen, sondern es geht eben auch darum, die entsprechenden politischen, sozialen, ökologischen Fragestellungen mit zu beinhalten, wie es dann die Sozialarbeiter:innen mit einbringen. Und es geht auch darum, das Wissen zu kultivieren und zu archivieren.
So wurde die Fachhochschule von Anfang an dargestellt und das hat auch viele schon sehr stark angesprochen, auch wenn es in der Realisierung immer schwierig war und oft auch die Versuche, wie zum Beispiel gemeinsame Ringvorlesungen zu machen, schwieriger waren an dieser Hochschule als zum Beispiel an der TH Brandenburg. Aber das war eine technisch-wirtschaftlich orientierte Hochschule, wo der Austausch auch einfacher war. Hier war es schon komplizierter. Denn diese Vielfalt, die die FH Potsdam an Studiengängen und Disziplinen hat, ist relativ ungewöhnlich. Und war es damals auf jeden Fall.
Es war eine inhaltlich, organisatorisch und strukturell total dynamische Zeit. Wir leiden immer noch unter bestimmten Sachen, die damals an Grundlagen gelegt wurden, nämlich an der Struktur. Aber damals hatten wir einfach überhaupt keine Zeit, darüber nachzudenken, wie man das Ganze konsolidiert. Das kam dann so ab 1995, da ging dann ganz stark der Ruf auch von den Fachbereichen aus: Stopp, stopp, stopp! Jetzt lasst uns doch erst mal Zeit, uns anzuschauen, was wir hier überhaupt aufgebaut haben und feststellen, was wir dafür brauchen; ob das so funktioniert. Zeit, den Unterbau überhaupt zu festigen, bevor uns dann das alles wegbricht, während wir immer weiter und schneller eilen …
Matthias
Ich hatte den Eindruck, dass man versucht hat, bei den inhaltlichen Diskussionen, bei der Entwicklung eines Curriculums, bei der Benennung von Professuren, wirklich innovativ zu sein. Und Dinge, die über 30 Jahre vorher gemacht worden sind, zu reflektieren, um sie hier anders zu machen. Ich meine, wo hast du das denn, dass du plötzlich eine Hochschule komplett neu gründest? Die anderen leiden vielleicht unter ihren Traditionen und hier hast du einen völligen Neuanfang gehabt. Der aber auch vieles unfassbar kompliziert gemacht hat, da du auf nichts zurückgreifen konntest und alles aushandeln musstest.
Ich muss heute manchmal schmunzeln, wenn die Kolleg:innen in der Fachbereichsratsitzung sagen: wir sind jetzt schon 3 Stunden hier, es ist schon 17:30 Uhr. Wir haben damals locker bis 1 Uhr gesessen und haben Dinge ausgehandelt, weil in den Anfangszeiten alle mit dieser Euphorie hier reingegangen sind. Ich habe bis heute das Gefühl, dass wir uns ein bisschen das Unkonventionelle und das nicht ganz so starre auch erhalten haben. Und das macht es anstrengend manchmal, aber irgendwie auch lebendig. Ich merke manchmal, als Kollege, der schon 30 Jahre hier ist: Ah, die Debatte hörst du jetzt zum 410. Mal, bitte nicht! Aber gerade das ist es auch. Und wir gestatten uns das auch immer wieder. Insofern finde ich, wir, haben uns ein ganzes Teil gerettet, was gut ist.
Patrizia
Ich denke auch, so viel uns an Struktur auch immer gefehlt hat, wurde es durch diesen intensiven Austausch ausgeglichen – der natürlich nicht so zu halten ist, umso größer man wird. Aber trotzdem ist genau dieses Unkonventionelle, dieses Lebendige dadurch erhalten geblieben. Wenn ich jetzt jüngere Kolleg:innen erlebe, die neu herkommen und vieles an dieser Unstrukturiertheit dann aufstößt, weil sie nicht verstehen, warum was wie funktioniert, denen gefällt auch die Lebendigkeit und der Umgang untereinander. Das ist eigentlich das, was uns ganz stark ausmacht und was auch immer wieder die inhaltlichen Diskussionen befördert. Und weil eben diese Lebendigkeit, die so schwer zu fassen ist, einfach da ist.
Könnte man sagen, dieses Unkonventionelle, Lebendige, Dynamische ist „typisch FH“?
Patrizia
Ich finde schon, dass es uns ausmacht, und zwar stärker als andere Hochschulen.
Matthias
Bis dahin, dass wir so eine Identität haben. Ich bin so froh darüber, dass wir uns das Label „Fachhochschule“ erhalten haben, gegen alle Strömungen. Das ist so ein typisches Beispiel, zu sagen: Nein, das sind wir. Und da kommt schon auch eine Menge Selbstbewusstsein her, zu sagen: Das können wir und das ist unser Pfund, mit dem wir hier auch arbeiten. Da ist die Interdisziplinarität das Fundament, das sehe ich ganz stark so, auch wenn die an vielen Stellen ganz schwierig umzusetzen ist. Gegen den Mainstream zu sagen: wir bleiben mit dem Label Fachhochschule, weil das unsere Identität ist – das macht uns aus.
Patrizia
Wir haben ja selbst immer wieder versucht, uns umzubenennen. Noch lange, bevor die Diskussion um die „Hochschulen für angewandte Wissenschaften“ gab. Es ging schon in den 1990ern los. „Fachhochschule Potsdam“: was soll das für eine Identität sein? Sollen wir uns nicht irgendwie einen anderen Namen geben? Dann gab es Namenswettbewerbe: mindestens zwei, wenn nicht sogar dreimal. Und die endeten jedes Mal damit, dass wir gesagt haben: Nein. Das Label Fachhochschule Potsdam macht uns aus. Irgendeine Persönlichkeit zu nehmen wird unserer Vielfalt einfach nicht gerecht.
Fachhochschule verbindet eben immer noch ganz stark diese Anwendungsorientierung mit dem Studium. Und das sind wir. Irgendwann wurde die Fachhochschule Potsdam ergänzt durch den englischen Zusatz „University of Applied Sciences“. Und das ist ja eigentlich der Name der Hochschule. Ich glaube, das wird in diesen Diskussionen auch immer wieder klar, deswegen sind wir dann auch bei Fachhochschule Potsdam geblieben, als sich alle in angewandte Wissenschaften umbenannt haben. Die FHP hat sich ihren Ruf aufgebaut und das ist auch gut so.
Sie haben viel über die Anfänge in den 1990ern gesprochen. Wie erleben Sie die FH Potsdam 30 Jahre später? Was läuft besser, was weniger gut?
Marion
Ganz deutlich: die Digitalisierung ist fortgeschritten. Wir haben angefangen, die ersten Zeugnisse noch mit Schreibmaschine zu schreiben. Das hat sich ja schon wirklich massiv geändert. Inzwischen haben wir auch ein Prüfungs-Verwaltungssystem, wo dann die Noten verarbeitet werden und auch die Ergebnisse herausgezogen werden für die Zeugnisse. Das ist schon eine massive Veränderung – und unbedingt zum Positiven.
Matthias
Ich weiß das gar nicht so genau, wenn man die Jahre so mitgemacht hat, dann ist man natürlich auch die Veränderung mitgegangen. Manche hat man angestoßen, manche fand man gut, manche weniger gut. Wir sind ja inzwischen eine relativ große Fachhochschule im Verhältnis zu dem, wie wir mal angefangen haben. Ich glaube zwar schon, dass die Kolleg:innen, die hier arbeiten, auch ein Selbstverständnis für diese Fachhochschule haben. Ich würde aber nicht so weit gehen zu sagen, da ist tatsächlich so eine Identität, wie wir sie am Anfang hatten. Daran könnten wir noch arbeiten.
Die Interdisziplinarität wird heute von vielen eher wie ein Appendix gesehen, als dass sie uns tatsächlich ausmacht – als wirklich das Bindende zwischen unseren ganzen Fachbereichen. Das ist wahrscheinlich auch Zeichen der Zeit, dass die Eigeninteressen der Fachbereiche, die Eigeninteressen der einzelnen Kolleg:innen, die hier arbeiten, eine stärkere Rolle spielen. Und es hat etwas damit zu tun, wie die Zugänge heute sind, dass du Professor:in an der Fachhochschule wirst, was du alles liefern muss, das hat sich alles entwickelt in 30 Jahren. Und insofern sind wir inzwischen, glaube ich, ein ganz funktionales System. Uns ist gelungen, trotz alledem zu zeigen: Wir sind hier eine Hochschule auf dem gemeinsamen Campus, mit kurzen Wegen und Absprachen. Und besonders gut gefällt mir, dass die Statusgruppen so gut zusammenarbeiten; dass es ein gemeinsames Herangehen ist.
Was die Herausforderung der nächsten Jahre sein wird, ist zu schauen, wie viel Autonomie und Eigenständigkeit die Fachbereiche nach wie vor haben werden. Wer speist eigentlich wen? Speisen die Fachbereiche die Hochschule? Oder ist die Hochschule für die Speisung der Fachbereiche verantwortlich? Da bin ich gespannt, wie sich das in den nächsten Jahren, die ich hier noch bin, entwickeln wird.
Patrizia
Ich sehe es ähnlich wie Matthias und habe auch den Eindruck, dass wir umso größer wir werden, auch umso mehr zerfasern. Das ist ja auch logisch und hat auch was Gutes. Aber was ich wirklich vermisse, schon seit Jahren, ist die Diskussionskultur. Ich finde, wir sind so ein bisschen in so eine Sprachlosigkeit verfallen, die ich manchmal auch im Senat feststelle, wo dann eben nicht über Inhalte diskutiert wird, sondern sich die Diskussion dann an Formalia festbeißt, die man eigentlich auch anders regeln könnte. Ich denke, manche sind ganz zufrieden damit, dass man über Formalia diskutiert, weil man sich dann nicht inhaltlich auseinandersetzen und in die Debatte gehen muss. Ich finde die Diskussionskultur ist insgesamt nicht so, wie ich sie mir eigentlich vorstelle und wünsche und wie ich sie auch für notwendig halte, um die inhaltliche, fachliche, interdisziplinäre Entwicklung voranzubringen.
Und was ich auch ganz problematisch finde, ist die Überforderung der Hochschulen insgesamt, wenn man überlegt, was es jetzt alles an Zusatzaufgaben gibt. Klar waren Weiterbildung und Transfer und angewandte Forschung immer schon Aufgaben der Fachhochschulen oder zumindest der neu gegründeten Fachhochschulen. Aber wir werden so überrannt von diesem und jenem. Und dann ist oft die Lösung: na ja, dann machen wir halt Beauftragte dafür und Kommissionen dafür. Und dann hetzen wir dem hinterher und jenem hinterher, statt einfach mal still zu sein und sich zu fragen: brauchen wir das jetzt eigentlich wirklich? Oder ist das wirklich der Weg? Aber das sind jetzt Fragen an die Hochschulpolitik der Bundesrepublik oder Europas und weniger an die Fachhochschule Potsdam.
Matthias
Das ist ja der Punkt, es sind nicht alle Dinge hausgemacht. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich habe manchmal das Gefühl, wir werden von Politik, auch von regionaler Politik, stärker eingeschnürt als noch vor 20 oder 30 Jahren. Das ist vielleicht ein subjektiver Eindruck, aber es sind immer mehr Vorgaben, die erfüllt werden müssen, mehr Dinge, wo ich finde, dass in die Hochschulautonomie durch die Politik eingegriffen wird und wo wir dann in einer Umsetzungsnot sind.
Marion
Ja, das Ministerium greift schon ziemlich massiv ein, in unsere Ordnungen zum Beispiel. Das sind so Dinge, wo wir um Verständnis ringen, aber mitunter ist es nicht erfolgreich.
Matthias
Oder bei der Frage der Besetzung von Professuren, wie starr inzwischen Berufungsverfahren sind. Die Voraussetzungen dafür haben sicherlich zum Teil ihre Berechtigung, zum Teil wird aber zu wenig auf die inhaltlichen Notwendigkeiten innerhalb der Fachbereiche geschaut. Etwas überspitzt: Was nützt mir im Bereich Sozial- und Bildungswissenschaften eine akademische Karriere mit 1,0‑Promotion und ohne Praxis? Um hier anzukommen, brauchst du zwar schon eine bestimmte wissenschaftliche Karriere, aber da stimmen manchmal die Verhältnismäßigkeiten nicht. Wir haben viele Dinge, die von außen kommen und die ich als Eingriffe empfinde, die man sein lassen könnte und den Hochschulen mehr Autonomie zugestehen müsste.
Patrizia
Nicht nur bei uns ist die Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge sehr auf Strukturierung und Formalismen reduziert worden. Und ich will gar nicht sagen, dass das an dem System liegt, sondern eher daran, wie es umgesetzt wurde – sodass wir uns jetzt oft durch die Struktur, in die wir vermeintlich gepresst werden, uns selbst behindern. Wir hatten nicht umsonst immer die „Studienreform“ in den Begriffen, also die frühere Kommission für Studium und Lehre hieß früher Kommission für Studium, Lehre und Studienreform. Denn ein Zeichen der Hochschulen ist ja die permanente Innovation und Weiterentwicklung.
Und dazu braucht man aber auch einen Freiraum, den ich nicht unbedingt mit 5 ECTS in die Modulstruktur pressen kann, weil das den Freiraum sprengt. Wir haben es aber noch nicht verstanden, diese Strukturen, die uns auferlegt werden, wirklich so umzusetzen, dass sie auch den Ansprüchen der innovativen Entwicklung gerecht werden. Da beschränken wir uns selber oft, werden aber auch ein bisschen eingeschränkt.
Matthias
Ich arbeite gerne für die Hochschule, denn mich speist sie mit Identität. Durch meine Jobs habe ich auch andere Hochschulen in anderen Bundesländern kennenlernen dürfen und in der einen oder anderen möchte ich nicht tätig sein. Das weiß ich ganz genau. Insofern ist es schon nach wie vor etwas besonderes hier.
Wie sollte die FHP in den nächsten 30 Jahren aussehen?
Matthias
Schwierige Frage.
Patrizia
Das einzige, was mir gerade spontan in den Kopf schoss, war „widerspenstig“.
Matthias
Widerspenstig im Sinne von Stärkung von Autonomie? Ja, durchaus. Aber ich würde mir auch wünschen, dass die Expertise und Erfahrung, die von den älteren Kolleg:innen da ist, wertgeschätzt wird. Sagt man bei Hochschul-Mitarbeiter:innen auch „Alumniarbeit“ oder wie nennt man das? (lacht) Also dass dieser Kontakt stärker gemacht wird. Ich glaube, wenn man so viele Jahre in so einer Institution war, dann ist schwer, von einem Tag auf den anderen zu sagen: Ich habe hier nichts mehr zu tun. Die, die das für sich wollen, die können das ja machen. Aber auch das Wissen von denen mitzubringen, die viele Jahre hier waren, fände ich schon irgendwie so eine Kleinigkeit.
Marion
Ich würde es auch wichtig finden, dass es wieder ein Miteinander gibt von vielen Statusgruppen. Ich habe den Eindruck, dass dieses Miteinander in der letzten Zeit doch gelitten hat. Es ist nicht mehr der Zusammenhalt wie in den Anfangsjahren, sicherlich auch noch bedingt dadurch, dass wir viele mehr geworden sind. Aber es könnte besser sein.
Matthias
Und bitte nicht alles digital! Ich möchte keine Fernhochschule werden, wir brauchen die Präsenz. Wir hätten auch dieses Gespräch locker im digitalen Raum machen können. Und trotzdem bin ich viel mehr inspiriert, wenn ich die Kolleginnen sehe und was zum Naschen auf dem Tisch habe. Wie wunderbar ist das alles! Das müssen wir uns erhalten, auch im Sinne von Schaffung von neuen Diskussionsräumen, Räumen, in denen es Austausch gibt. Ganz nach Hannah Arendt: wo Politik betrieben wird, im Pluralen und nicht im Einzelnen. Das ist ganz wichtig.
Marion
Und das ist genau das, was ich auch von den Studierenden jetzt immer wieder gesagt bekomme: Wir sind so froh, dass wir wieder zu Ihnen kommen können.