Es gibt da dieses Wort. Dieses kleine Wort, das viele Menschen häufig benutzen. Vielleicht benutzen sie es auch gern. So unbedeutend es klingen mag und so leicht es sich dahinsagen lässt, so unglaublich mächtig ist es doch. Und kein Wort bringt besser auf den Punkt, wie wir unser Miteinander strukturieren – wer dabei sein darf, wer nicht dazu gehört, wer cool ist und wer nicht und vor allem, wer wie sein soll.
Achtung… Wort.… erscheint… jetzt:
N O R M A L
Wie oft habe ich dieses Wort schon benutzt, um mich oder andere zu beschreiben – entweder durch Anwesenheit oder Abwesenheit von vermeintlicher Normalität? Und wie oft haben es andere für mich benutzt? Unzählige Male. Wie oft wird dieses Wort benutzt um Machtverhältnisse zu legitimieren oder Ausschlüsse zu produzieren? Bestimmt noch öfter.
Und da bin ich jetzt, als weiße privilegierte Person ohne Behinderung und latsche in einer Selbstgefälligkeit über den Campus, als hätte ich ihn in sechs Tagen erschaffen und am siebten habe ich mir erst mal ’nen Soja-Kakao im Casino gegönnt. Und weil ich so reflektiert und kritisch bin, denke ich, mein Beitrag zur Weltverbesserung ist mit der Streichung des Wortes „normal“ aus meinem Wortschatz erledigt – mission accomplished = Karmapunktekonto exorbitant erhöht.
Ich bin der Inbegriff von Normalität. Ich kann so tun, als würde die Welt mir gehören, weil mir Hindernisse und alltägliche Diskriminierung weitestgehend unbekannt sind. (Ok, ich bin eine Frau, aber Frauen sind ja schon komplett gleichgestellt, weil sie ja das Gegenstück zum Mann sind und der weiße Mann ist für seine Gerechtigkeit sehr berühmt. Außerdem braucht es Frau & Mann. Das ist natürlich. Das ist normal. *irony off*) Und grade weil ich so privilegiert bin, fällt es mir auch total leicht das Wörtchen „normal“ aus meinem Denken und meiner Sprache zu streichen – denn sogar meine Diskriminierungserfahrungen sind die besseren.
Wer die Norm erfüllt, kann sehr leicht negieren, dass es sie gibt (frei nach Carolin Emcke). Wer sie nicht erfüllt, loost. Auf ganzer Linie. Knallhart. Denn die Realitäten von Menschen mit Behinderung, nicht-binären Personen (Menschen, die sich nicht als Mann oder Frau beschreiben) und/oder nicht-weißen Personen sind immer noch marginalisierte Positionen.
Toll, es gibt Behindertentoiletten – Danke, für die Toilette, das Stigma gibt es gratis dazu.
Toll, es gibt ein Programm, das nennt sich „Higher education for refugees“ und es soll geflüchtete Menschen (zurück) in die akademische Arbeits- & Ausbildungswelt verhelfen, aber dann sollen sie auch bitte realistische Berufe anstreben und sich von privilegierten, weißen Personen erzählen lassen, wie hier der Hase läuft.
Toll, in dem FES-Gebäude kommen Menschen mit dem Rolli nur durch einen Hintereingang; geschweige denn in die zwei Stockwerke.
Toll, wie sich Personen mit Sehbehinderung durch das Hauptgebäude navigieren können.
Toll, wie Toiletten, von allen Geschlechtern benutzt werden können, auf Umwidmungswillen zu Lasten von Menschen mit Behinderung stoßen oder von Menschen die sich nicht zu „allen“ zählen, in Eigenregie wieder zu „Damen & Herren“-Toiletten gemacht werden. (Liste erweiterbar.)
Toll.
Wir sehen uns gern als so was von aufgeklärt, inklusiv und offen. Dabei sind wir konsequent von Perspektiven betroffener Personen abhängig, die unsere Blicke öffnen und dafür meist selber die schäbigsten Ausflüchte und Rechtfertigungen in Kauf nehmen müssen (oder noch schlimmeres). Diese Personen machen außerdem viel mehr als Blicke öffnen, sie kämpfen jeden Tag, um Dinge, die uns „Normalen“ beinahe selbstverständlich sind – Respekt und Anerkennung.
Wären wir tatsächlich eine inklusive Hochschule müssten wir es uns nicht mehr in irgendeine Satzung schreiben, damit wir uns schriftlich daran erinnern, sondern würden es gemeinsam leben. Bedürfnisse würden gehört, angenommen und respektiert. Bedürfnisse würden diskutiert und konsensual beschlossen. Das mag utopisch klingen. Vielleicht sogar verrückt. Unvorstellbar in einer Welt der Hierarchien und Bequemlichkeiten, in welcher es immer noch eine weitere Regelung gibt, die von übergeordneten Mächten beschlossen wurde und welcher wir uns zu beugen haben.
Aber Regeln sind nicht in jedem Kontext gleich sinnvoll, sie sind nicht immer gleich viel wert. Sie sind da, um Normalität zu begründen und den Alltag zu strukturieren. Aber in meinem Alltag gehören Kopftuch, Trans*sein oder eine Behinderung haben dazu – also wer ist hier falsch:
Ich oder die Normalität?
Hallo Laura,
einen interessanten Aspekt den du hier ansprichst. Häufig schon angesprochen doch wie du selber ja bemerkt hast, selten bis gar nicht umgesetzt.
Es ist immer gut das Problem zu erkennen, es zu analysieren und wenn schon möglich Lösungen oder Aspekte herauszufiltern. Bei dir geht es ja auch viel um den alten Campus, sind dir denn schon Schwierigkeiten beim neuen Campus aufgefallen? 🙂
Vielleicht hast du Lust dazu mal eine „Arbeitsgruppe“ zu bilden, deine Ideen in Lösungsansätzen zu formulieren und deinem Gedanken mehr Kraft zu verleihen.
Beste GRüße
Hey Rufus,
danke für dein konstruktives feedback. Es geht aber tatsächlich auch viel, um den „neuen“ Campus z.B. was die Blindenschrift angeht oder die Toiletten für alle.
Tatsächlich, gibt es nächste Woche ein Treffen – offen für alle Hochschulangehörigen – bei dem es darum geht Anti-Diskriminierung weiter zu denken und erste Netzwerke für verschiedenen Ansätze, Kritiken, Projekte zu bilden. Ich bin auf jeden Fall da. Falls du auch kommen willst – der Asta sagt es dir.
(Ich will Zeit & Ort nicht öffentlich hier hin schreiben, wegen Gründen und so… )