Die Deutsche Depressionshilfe definiert eine Depression als „eine aus medizinischer Sicht ernste Erkrankung, die das Denken, Fühlen und Handeln der Betroffenen tiefgehend beeinflusst […] und erhebliches Leiden verursacht“. Dieser Satz, der bereits eine Vielzahl starker und angsteinflößender Wortzusammenhänge impliziert, ist noch nichts im Vergleich zu dem, was diese immer häufiger auftretende psychische Erkrankung für Betroffene bedeuten kann.
Der Weg in die Krise
Ich war schon immer eine zurückhaltende Person, habe Probleme und Herausforderungen häufig sehr lange durchdacht und eine endgültige Entscheidung zu treffen fiel mir manchmal sehr schwer. Auch war mein Leben im Prinzip auf einen einzigen kleinen Landkreis in Rheinland-Pfalz beschränkt, und immer häufiger ähnelte jeder Tag dem Nächsten. Das war für mich lange okay, doch 2016 änderte sich Vieles: Mein erstes Studium stand an und ich zog in eine andere, fremde Stadt.
Ein neues Umfeld, der vermehrte Umgang mit unbekannten Kommiliton*innen und die steigenden Leistungsansprüche in Studium und Privatem setzten eine fatale Kettenreaktion in Gang. Es begann mit dem sozialen Rückzug in die Welt von Youtube und Co. und setzte sich bald mit starken Angstgefühlen fort. Da ich niemanden kannte und so auch kaum über meine Sorgen reden konnte, nahmen meine Ängste zu und ich war bald der Meinung, ein unnötiges Element zu sein, das nur Ressourcen verbrauchte. Da mein Selbstwertgefühl vorher schon nie sehr gut genährt war, zersetzten nun quälende Gedanken Stück für Stück die Reste meines Gefühls der Selbstliebe.
Im November 2016 kollabierten dann die letzten Schutzmechanismen, die ich in den Jahren zuvor so vernachlässigt hatte. Angstanfälle machten mich tagelang unfähig, überhaupt das Bett oder die Wohnung zu verlassen, und immer mehr tauchte aus dem Sumpf meiner Gedanken die Vorstellung auf, was wohl passieren würde, wenn mir ein schneller Zug auf der nahen Bahnstrecke endlich all die Last nehmen würde …
Stress und (gewählte) Einsamkeit zermürben die letzten Schutzwälle
Tatsächlich gibt es eine Vielzahl von Faktoren, die heute in allen Altersgruppen Depressionen und Angststörungen auslösen können oder diese, durch immensen psychischen Druck, deutlich wahrscheinlicher machen. Als Student*innen sind wir da nicht ausgenommen. So Vieles ändert sich mit der Aufnahme eines Studiums und zusätzlich setzt eine gnadenlose Leistungsgesellschaft jungen Erwachsenen immer extremere „Ziele“, die sie angeblich unbedingt erreichen müssen, um nicht „in der Gosse zu landen“ oder auch „ein vorzeigbarer und vorbildlicher Mensch zu sein“.
Natürlich besteht auch an einer Hochschule ein gewisser Leistungsdruck, aber ich denke, dieser ist häufig nicht allein verantwortlich für die zunehmende Belastung der Psyche. Es sind viele verschiedene Faktoren wie Zukunftsängste, fehlende Orientierung, unrealistische Vorstellungen zu gesellschaftlichem Status oder mangelhafte Sozialkompetenz, die Ängste und damit später Depressionen anheizen.
Auch auf den sozialen Medien, die von unserer Altersgruppe gerne und viel benutzt werden, zählen nur Perfektion und/oder Erfolg, der zum Teil nur durch ein unmenschliches Arbeitspensum erreicht werden kann. Hier die Balance zu finden ist eine Wissenschaft für sich. Gleichzeitig driftet das Denken unserer ganzen Gesellschaft immer mehr ab – hin zum Extremen, Exklusiven oder Selbstzerstörerischen.
Von Grau zurück ins volle Spektrum der Farben
Jedoch gibt es viele Wege, die, selbst aus einer schweren Depression heraus, zurück in ein glückliches Leben führen! Jeder Mensch da draußen ist einzigartig in seinen Erfahrungen, seinem Charakter und seinem Seelenleben. Deshalb muss auch eine Depression oder Angststörung individuell behandelt werden, wobei es fast unendlich viele Möglichkeiten und Methoden gibt. Im Zentrum der meisten Behandlungen stehen die Psychotherapie und die medikamentöse Unterstützung durch eine*n Psychiater*in. Meist liegen den Ängsten und der Hoffnungslosigkeit eine oder mehrere Grundfaktoren zugrunde, die zwar auflösbar sind, aber trotzdem fast immer eine Änderung des bisherigen Lebensstils erfordern.
Mir half damals der Gedanke, dass ich nie riesige und super bedeutende Schritte auf einmal machen muss. Selbst kleinste Schritte aus der eigenen Komfortzone oder minimale positive Neuerungen, wie ein kurzer Spaziergang, das Grüßen einer Person in der Öffentlichkeit oder auch das Aufräumen einer kleinen Ecke des Zimmers, können auf lange Sicht extrem positive Auswirkungen haben und das eigene Selbstwertgefühl stärken. Auch Verstärkung suchen ist natürlich erlaubt: Familie, Freund*innen, Partner*innen und alle anderen, von denen man weiß, dass sie einem guttun können, den Rücken freihalten, bestärken und dabei einem nicht immer alle Dinge abnehmen. Sie können nach meiner Beobachtung kritische Situationen sehr schnell abmildern und einen zusätzlich stabilisieren.
Selbst bei tiefer Depression, die Betroffenen jeden Eigenantrieb genommen hat, gibt es Hilfe. Die psychiatrischen Kliniken unserer Gegenwart haben absolut nichts mehr mit den Klischees von Irrenanstalten gemeinsam. Sie ermöglichen ihren Patient*innen viel mehr, sich aus ihrem toxischen Alltag zeitweise zu lösen und dort, zusammen mit speziell geschulten Ärzt*innen und Therapeut*innen, sehr schnell und effektiv Lösungen zur Minderung der eigenen Belastung zu erreichen, damit der*die Betroffene bald ins normale Leben zurückkehren kann.
Teil der Behandlung können, wie bereits erwähnt, auch Medikamente, sogenannte Antidepressiva, sein. Sie sind mächtige Waffen gegen Depressionen und irrationale Angst, allerdings sollten sie nur mit Bedacht und genauer Absprache mit einem*einer Psychiater*in eingesetzt werden, da sie oft bedeutende Nebenwirkungen haben. Diese Nebenwirkungen müssen professionell beobachtet werden; trotzdem haben Antidepressiva vor allem bei mittelschweren und schweren Depressionen eine sehr hohe Erfolgsquote, die Lebensqualität der*des Betroffenen stark zu verbessern. Allgemein sollten diese Medikamente nur eingesetzt werden, um der*dem Betroffenen genug Kraft und Stabilität zu geben, um sich einer Änderung des Lebensstils oder der Bearbeitung der Grundprobleme widmen zu können. [1]
Nachdem bei mir im Mai 2017 eine starke Depression mit Angststörung diagnostiziert wurde, konnte ich sechs Wochen in einer Klinik stationär behandelt werden und mich danach Schritt für Schritt meinen Problemen stellen. Heute, im Jahr 2022, bin ich glücklicher und selbstbewusster als jemals zuvor.
Ich hoffe, dass ich euch als Leser*innen mit diesem kurzen Text etwas Mut machen konnte. Depressionen können besiegt werden!
Info-Nummer Depressionen der Deutschen Depressionshilfe
0800 / 33 44 533
Telefon-Seelsorge Berlin/Brandenburg
0800 / 111 0 111 oder 0800 / 111 0 222
Nummer-gegen-Kummer (für Jugendliche und Kinder)
116 / 111
Quellen:
1. Deutsche Depressionshilfe; Kapitel und Übersicht zur Anwendung von Antidepressiva (Zugriff: 29.06.2022)
Sehr schön geschrieben. Einfach Mal mehr Mut zum Scheitern und verletzlich sein haben in dieser schnellen und leistungsorientierten Welt. Ohne Scham und mit ganz viel Liebe für sich selbst. Ein wohlwollendes Umfeld hilft dabei sehr. Danke.