In der Ukraine herrscht Krieg; über 4,6 Millionen Menschen sind bis Mitte April geflüchtet. Auch in Potsdam werden täglich neue Geflüchtete aufgenommen. Doch was heißt das für unsere Hochschule? Sind Studierende betroffen? Welche Angebote gibt es für Geflüchtete? Wir haben versucht, uns ein Bild zu verschaffen.
Im Beitrag unterhalten wir uns mit einem der ukrainischen Studierenden der FH, der von seiner Situation berichtet; sprechen mit der Leiterin des International Office als erste Anlaufstelle für Anfragen zum Thema Ukraine, sowie mit einer Hochschulmitarbeiterin, die beschloss, eine geflüchtete Familie bei sich aufzunehmen.
„Niemand weiß, in welche Richtung es jetzt weitergeht“
Ein Gespräch mit Dmytro, der im 6. Semester Informations- und Datenmanagement an der FHP studiert. Er hat bereits in der Ukraine einen Bachelor und einen Master in BWL absolviert und danach einige Jahre dort gearbeitet.
Wie bist du an der FH Potsdam gelandet?
„Ich habe schon angefangen Deutsch zu lernen, als ich noch in der Ukraine war. Einfach weil ich etwas Neues wollte in meinem Leben. Danach habe ich einen Job in einer deutschen Firma gefunden, im Bereich Online-Marketing. Der Chef war Deutscher und hat mich motiviert, weiter zu studieren. In Berlin hatten Freunde meiner Familie schon lange eine Wohnung und auch sie haben mich motiviert und gesagt, wir können dich etwas unterstützen, wenn du in Deutschland studieren willst.
Und deswegen habe ich angefangen, etwas in Berlin oder in der Nähe von Berlin zu suchen, und habe diesen Studiengang gefunden. Nachdem ich einen Sprachkurs an der Uni Potsdam besucht hatte, um das C1-Sprachniveau zu erreichen, konnte ich hier an der FH anfangen.“
Wie war es für dich, als vor wenigen Wochen der Ukraine-Krieg begann?
„Das war für alle ein Schock. Die ersten zwei, drei Tage konnte man gar nichts machen, nur Nachrichten lesen, und zur Demo gehen. Ich fühlte mich ohnmächtig. Jetzt ist es anders, aber damals hatten wir Angst, dass wir innerhalb von ein paar Tagen unser ganzes Land verlieren. Niemand weiß, in welche Richtung es jetzt weitergeht, aber zumindest kann man noch ein bisschen optimistischer sein als davor.
Ich komme aus dem westlichen Teil der Ukraine. Dort ist es ruhig, es gab nur wenige Raketen-Angriffe, und einige Gasspeicher wurden zum Teil zerstört. Ich habe dort eine große Familie; nur mein Bruder wohnt in Polen. Das heißt sie sind mehr oder weniger in Sicherheit. Aber ein junger Cousin ist im Krieg; auch ein paar meiner Freunde, mit denen ich früher in der Ukraine studiert habe, kämpfen jetzt.“
Wie geht es dir jetzt?
„Mir geht es okay. Letzte Woche habe ich von einer Freundin mitbekommen, dass ihr Vater wegen des Krieges gestorben ist. Da fehlten mir einfach die Worte. Da die ganze Familie in diesem Kriegsgebiet war, haben wir dann das ganze Wochenende lang eine Wohnung im Westen gesucht, damit sie ausreisen oder evakuiert werden können. Und in solchen Momenten hast du schon schlimme Gedanken im Kopf. Aber im Vergleich zu anderen Leuten geht es mir gut, ich bin ich nicht so stark betroffen vom Krieg. Jetzt versuche ich, etwas zu tun, zu helfen. Vor dem Start des Semesters war das noch einfacher, weil ich mehr Zeit hatte.“
An der Hochschule gibt es neben dir noch 13 ukrainische Studierende. Kennt ihr euch?
„Ja, ein paar habe ich neulich bei einem Treffen mit der Präsidentin kennengelernt. Viele kannte ich vorher gar nicht. Wir haben uns im Anschluss auch verabredet – noch in diesem Monat, zur Mittagspause oder so. Vielleicht braucht jemand Unterstützung oder einfach jemanden, mit dem er sprechen kann. Es ist natürlich grausam, dass wir uns unter diesen Umständen kennenlernen; aber jetzt wo wir uns kennengelernt haben, können wir auch davon profitieren.
Ich habe auch mit ein paar Menschen aus der Ukraine gesprochen, die hier in der Mensa gegessen haben. Wir haben kurz geredet und sie waren sehr froh, dass es dieses Angebot gibt. Für mich ist das sehr schön, dass meine Hochschule so etwas organisiert.“
Weißt du, was du nach deinem Abschluss machen möchtest?
„Ich bin mir ehrlich gesagt gar nicht mehr sicher. Am Anfang wollte ich nach dem Studium gleich zurück in die Ukraine gehen. Ich dachte mir damals: ich werde dann ganz gut Deutsch und Englisch können und ein abgeschlossenes Studium in Deutschland haben. Ich habe mir damit höhere Chancen erhofft, einen guten Job zu finden. Doch nach ein paar Semestern habe ich gedacht: ein Studium ist gut, aber Erfahrung zu sammeln ist auch nicht schlecht. Das habe ich nach einem Praktikumssemester gemerkt. Ich habe mir also vorgenommen, danach noch hier in Berlin zu arbeiten, und mich finanziell abzusichern.
Aber jetzt sieht die Realität ganz anders aus. Wenn der Krieg vorbei ist und die Ukraine hoffentlich viel schneller Richtung Westen geht, Richtung Europäische Union, dann ist es vielleicht auch sinnvoll, zurückzukehren. Denn da wird es einerseits mehr Möglichkeiten geben und andererseits kann ich beim Aufbau mithelfen, da wird es im ganzen Land Bedarf geben.“
„Es ist ein großes Engagement da“
Ein Gespräch mit Isabelle Harbrecht, seit Oktober 2021 Leiterin des International Office der FH Potsdam.
Vor wenigen Wochen begann der Krieg. Wie war diese Situation für euch als Team?
„Es ist für uns alle ein Riesenschock. So wirklich damit gerechnet, dass sowas passiert, hat keiner. Das ist eine völlig neue Situation für uns.
Doch ganz viele Hochschulmitglieder sind auf uns zugekommen und man merkt, dass es ein großes Bedürfnis gibt, etwas zu tun. Es ist ein großes Engagement da, zum Beispiel der Fachbereich Sozial- und Bildungswissenschaften hat einiges auf die Beine gestellt: eine Kooperation mit dem Staudenhof angefangen, wo sie Spenden hin liefern und einen Sprachkurs für die Geflüchteten eingerichtet, damit sie anfangen können, Deutsch zu lernen.
In der Mensa können Geflüchtete zudem kostenlos essen und da gibt es die Initiative, dass Hochschulmitglieder Spielsachen mitbringen können, die dann mitgenommen werden können. Auch auf fachlicher Ebene vernetzen sich die Professor:innen in ihren jeweiligen fachlichen Netzwerken, wie man die Universitäten in der Ukraine unterstützen kann.“
Der Corona-Krisenstab der Hochschule wurde vor wenigen Wochen auch zum Ukraine-Krisenstab. Was wird da wöchentlich besprochen?
„Im Krisenstab tauschen wir uns zum einen über die ganzen Neuerungen aus, denn fast täglich gibt es irgendwelche neuen Regelungen, was zum Beispiel den rechtlichen Status der Geflüchteten betrifft. Und zum anderen tauschen wir uns über ganz konkrete Anfragen aus, die wir erhalten – wie wir den Personen helfen können, was für Optionen wir haben und wie wir weiter vorgehen.“
Was für Anfragen kommen rein?
„Im Moment kommen die meisten Anfragen von Studierenden, die jetzt in Deutschland sind. Die sind natürlich gerade erst angekommen und wissen nicht, wie lange sie hier bleiben werden. Deswegen ist es unklar, ob sie tatsächlich einen Abschluss hier anstreben oder erstmal nur als Austauschstudierende herkommen wollen. Meistens sind es recht allgemeine Anfragen, doch relativ viele Anfragen gehen an den Fachbereich Design – das hat sich wohl irgendwie rumgesprochen, dass wir hier Design anbieten.
Anders als die meisten Hochschulen haben wir keine Partneruniversitäten in Russland oder in der Ukraine. Wir waren also nicht in der Situation, dass wir hier Austauschstudierende hatten oder in den Ländern Studierende oder Professor:innen hatten, die zurückkommen mussten. Und wir waren auch nicht in der Situation, dass wir institutionalisierte Programme mit Partneruniversitäten in Russland hätten einfrieren müssen, weil wir einfach keine haben.“
An der FH gibt es einige ukrainische Studierende. Seid ihr mit ihnen in Kontakt?
„Ja, wir haben tatsächlich 14 Studierende aus der Ukraine, die einen Abschluss anstreben und vor dem Krieg schon hier eingeschrieben waren. Und das ist im Vergleich zu den anderen Fachhochschulen in Brandenburg eine relativ große Gruppe.
Wir sind mit allen in Kontakt und denen geht’s natürlich nicht wirklich gut. Es ist schon eine extrem belastende Situation für sie und ich glaube, dass das größte Problem die psychische Belastung ist. Es gibt aber auch finanziellen Druck, weil den Familien in der Ukraine das Einkommen wegbricht. Bis vor kurzem hatten die Familien oft ihre Kinder im Ausland unterstützt; jetzt ist es eher so, dass die Kinder ihre Familien in der Ukraine unterstützen möchten. Sie versuchen jetzt also, irgendwie noch etwas dazuzuverdienen.“
Gibt es psychotherapeutische Angebote für sie?
„An der FH haben wir so ein Angebot nicht, weil wir einfach zu klein sind. Aber am Studentenwerk Potsdam gibt es das Angebot, dass man ein erstes Gespräch führt.“
„Dann kam Montag der Anruf, dass sie Dienstag kommen“
Ein Gespräch mit einer Hochschulmitarbeiterin, die eine ukrainische Familie bei sich aufgenommen hat.
Als vor ein paar Wochen der Krieg begann, hast du plötzlich entschieden: Ich nehme jetzt eine Familie auf. Wie kam es dazu?
„Ich bin in der solidarischen Landwirtschaft bei der Brauerei Grube. Dort hole ich mein Gemüse immer am Zirkus Montelino ab und kenne daher den Geschäftsführer. Da habe ich die Nachricht bekommen, dass Familien gesucht werden, und habe mich gleich angemeldet. Es gab dazu eine unglaublich große Resonanz, um die 150 Familien waren es, die jemanden aufnehmen wollten.
Dann kam Montag der Anruf, dass sie Dienstag kommen. Eine Mutter und ein jugendlicher Sohn. Wir haben dann das Kinderzimmer von unserem jüngsten Kind ausgeräumt und da wohnen sie jetzt. Wir teilen uns zu sechst ein Bad mit Dusche, was nicht immer so einfach ist, aber es funktioniert. Und ob wir für sechs Leute kochen oder für vier ist eigentlich auch egal. Es macht auch Spaß, und ich finde diesen Austausch zwischen den Kulturen ganz wichtig.“
Wie geht es der Familie?
„Die ersten paar Tage dachte ich: Oje, sie brauchen psychologische Hilfe, und diese Hilfe kann ich gar nicht geben. Es war ja eine lebensbedrohliche Situation, aus der sie geflüchtet sind. Die Mutter sagte, sie ist vier Tage mit dem Auto aus der Ukraine geflüchtet. Sie hatten nur zweimal Zeit, um zwischendurch was zu essen. Und das ist wirklich so eine Situation, wo ich denke, was sind das eigentlich für kleine Probleme, die man selbst im Alltag hat?
Inzwischen geht es ihnen besser und sie fühlen sich wohler. Sie haben einen sozialen Anschluss an den Zirkus: der Junge kann dort trainieren und seine Mutter kann sich mit den anderen ukrainischen Müttern treffen. Sie können dort auch an einem Deutsch-Unterricht teilnehmen, und an der FH können sie kostenlos essen. Das ist schon gut, und ich glaube da sind sie auch alle dankbar.
Ich habe mich auch schon darauf vorbereitet, dass es etwas mittel- bis langfristiges sein wird. Meine Kinder wollen sogar, dass sie bleiben, weil sie es so schön finden. Sie sind total happy, dass Leben in der Bude ist.“
Aktuelle Informationen und Unterstützungsmöglichkeiten werden auf der FHP-Seite #SolidarityWithUkraine zusammengefasst. Zentrale Kontaktstelle für sämtliche Anfragen, Belange und Ideen ist das International Office: