Thema des Jahres 2020: Homeoffice

Im Vordergrund steht 2020, im Hintergrund ist eine Person zu sehen, die vor ihrem Laptop sitzt und arbeitet.
© Andrew Neel / Semikolon

Viele würden das Jahr 2020 am liebsten ver­gessen, nach vorne blicken und hoffen, dass alles besser wird. Doch das wäre zu einfach und zu pau­schal. Denn shit happens; die Frage ist, was man daraus macht – selbst wenn der Shit besonders schlimm und unan­genehm ist. Wieso also das Jahr ver­gessen? Viel sinn­voller ist es doch zu ver­suchen, aus dieser Zeit zu lernen. Hier sind fünf Dinge, die ich 2020 in Bezug auf das Studium und die Hoch­schule gelernt habe:

#1 Digital geht auch

Auch wenn wir inzwi­schen alle die Nase voll haben von Online-Mee­tings: die letzten Monate haben gezeigt, dass digitale Treffen durchaus eine gute Alter­native zu Prä­senz­ter­minen sein können. Ins­be­sondere große Vor­le­sungen eignen sich prima für dieses Format, aber auch kurze Grup­pen­be­spre­chungen und Sit­zungen könnten in Zukunft das ein oder andere Treffen vor Ort ersetzen.

Das erspart nicht nur die Suche nach geeig­neten Räumen für Grup­pen­mee­tings, sondern auch das Her­um­tragen der eigenen Ver­pflegung, den elek­tro­ni­schen Endgerät(en) und den schweren Büchern. Besonders spannend wird es aber mit digi­talen Tools, die den Stu­di­en­alltag ergänzen und berei­chern: von Miro-White­boards über das Arbeiten in Echtzeit mit den Office-Apps bis hin zu einer inten­si­veren Nutzung von Moodle und Incom – die Lehre und das Studium können davon nur profitieren.

#2 Unsere Studiengänge sind viel zu starr

Nicht alle Stu­di­en­gänge haben ein relativ freies Wahl­pflicht­system wie im Fach­be­reich Design. Viele sind statt­dessen stark ver­schult; schon vor Beginn des Stu­diums ist klar, welche Module in welchem Fach­se­mester statt­finden werden. Und dann kommt Corona. Plötzlich sind Seminare in Laboren und Werk­stätten nur begrenzt möglich, die geplanten Aus­lands­se­mester und (Pflicht-)Praktika ebenso. Doch was soll man statt­dessen tun, wenn bestimmte Kurse nur einmal im Jahr (aka alle zwei Semester) ange­boten werden? Wenn zuerst eine vor­ge­gebene Anzahl an Credits erreicht werden muss, bevor ein Seminar besucht oder eine Klausur geschrieben werden darf? Wenn nur eine begrenzte Anzahl an Prü­fungs­formen vor­ge­sehen ist?

Gar nicht so einfach, wenn man das eigene Studium nicht unnö­ti­ger­weise in die Länge ziehen und einen immensen Leis­tungs­druck aus­halten möchte. Doch auch wenn es im digi­talen Semester fai­rer­weise sehr viele Pro­bleme auf einmal waren: es ist an der Zeit, die Stu­di­en­gänge so zu fle­xi­bi­li­sieren, dass Abwei­chungen auch im großen Stil möglich sind. Zum Bei­spiel mit mehr freien Modul­fenstern statt starren Stun­den­plänen, mit wei­teren Prü­fungs­for­maten und mit dem Angebot von wich­tigen Kursen in jedem Semester. Die Lebens­rea­lität der Stu­die­renden ist nämlich alles andere als starr.

#3 Studierenden wird vom Bund nicht wirklich geholfen

Nach dem ersten Lockdown im März haben viele Men­schen von einem Tag auf den anderen ihre Jobs ver­loren – dar­unter auch viele Stu­die­rende. Doch während für Unter­nehmen und Selbst­ständige in Win­deseile Zuschüsse beschlossen werden, stehen die Stu­die­renden ziemlich dumm da. Erst mehrere Monate später stellt das Bun­des­mi­nis­terium für Bildung und For­schung seine Antwort auf das Problem vor: Stu­die­rende sollen doch einfach ein KfW-Stu­di­en­kredit auf­nehmen und sich erstmal verschulden.

Oder eine monat­liche Über­brü­ckungs­hilfe von bis zu 500 € bean­tragen. Was zuerst inter­essant klingt, stellt sich als bizarr heraus: schon ein geringer Kon­to­stand führt dazu, dass die Über­brü­ckungs­hilfe kleiner wird. Wer bei­spiels­weise 100 € auf dem Konto hat, erhält statt 500 € nur 400 €; wer 200 € hat, erhält nur 300 €, und so weiter. Wer denkt sich sowas aus? Unsere Bun­des­mi­nis­terin Anja Kar­liczek. Nicht ohne Grund fordern Stu­die­ren­den­ver­tre­tungen ihren Rück­tritt. Schon in der Ver­gan­genheit war die Minis­terin durch ihre unzu­rei­chende BAföG-Änderung und ihren blöden Kom­mentar über teure und billige Uni­ver­si­täts­städte negativ auf­ge­fallen. Spä­testens jetzt besteht aller­dings kein Zweifel mehr daran, dass Stu­die­rende über­haupt keine Prio­rität für die Bun­des­po­litik sind.

#4 Der Campus ist ziemlich cool

Spä­testens nach einem ganzen Semester zu Hause muss man zugeben, dass unser Campus schon ziemlich toll ist. So nervig die Pend­lerei für Viele sein mag – es hat einfach was, morgens anzu­kommen und Kommiliton:innen zu treffen, gemeinsam von einem Seminar zum anderen zu laufen, sich über die Men­sa­ge­richte auf­zu­regen, mal in die Bib zu gehen, einen Kaffee mit Freund:innen zu trinken … 

Da, wo heute der Videocall eines Seminars aufhört und man plötzlich wieder alleine auf den Bild­schirm starrt, würde man sich eigentlich noch kurz unter­halten, Pau­sen­pläne machen, die:den Lehrende:n noch was fragen oder einfach noch ein bisschen sein können, bevor es weiter geht. Viel­leicht denkt die:der eine oder andere Berliner:in in Zukunft doch zweimal nach, ob sie:er wirklich die nächste Tram nehmen muss oder doch noch eine Weile am Campus bleibt.

#5 Einfach ausprobieren

Wir Men­schen sträuben uns gerne gegen Ver­än­de­rungen, ins­be­sondere dann, wenn wir aus unserer Kom­fortzone raus müssen. An der Hoch­schule ist die demo­kra­tische Selbst­ver­waltung mit ihren vielen Gremien auch prä­de­sti­niert dafür, Pro­zesse zu ver­lang­samen. Das ist per se auch nicht ver­kehrt, da man sich die Zeit auch nehmen sollte, um über Ver­än­de­rungen zu reden und um diese auch zu hin­ter­fragen. Im digi­talen Semester hatten wir diese Zeit aber nicht.

Statt­dessen durften wir nun das andere Extrem erleben: innerhalb von kür­zester Zeit sahen wir uns gezwungen, Neues und Unbe­kanntes aus­zu­pro­bieren und mit Learning by doing Pro­zesse in Echtzeit anzu­passen und zu opti­mieren. Manchmal hat es super geklappt, manchmal gar nicht; es war auf­regend, kräf­te­raubend und zum Glück nur eine (sehr lange) Aus­nah­me­si­tuation. Das digitale Semester hat dabei nicht nur gezeigt, dass wir Ver­än­de­rungen wie im Bereich Digi­ta­li­sierung früh­zeitig angehen sollten anstatt zu warten, dass wir dazu gezwungen werden. Sie hat auch gezeigt, dass wir uns viel öfter trauen sollten, Neues einfach aus­zu­pro­bieren. Und den Mut haben, auch live daran zu scheitern.

Auf ein Neues

Ich freue mich aufs neue Jahr und darauf, dass es deutlich ent­spannter läuft als 2020. Doch eines ist klar: die Pan­demie hat sowohl uns in unserer Lebens- und Stu­dier­weise als auch die Hoch­schule selbst auf Dauer ver­ändert. Diese Zeit gab (und gibt) uns eine andere Sicht­weise auf unseren Alltag. Sie bestätigt Bewährtes, deckt Schwächen auf, zeigt uns aber auch neue Mög­lich­keiten, die uns zukünftig begleiten werden. In diesem Sinne: lasst uns das Beste daraus machen! And let’s get shit done.