Und alle Jahre wieder grüßt uns das Problem: Semesterticket. In meinem letzten Artikel dazu hatte ich nach meinem eigenen Empfinden mit einer gewissen Hoffnung und der Ungewissheit, was die Zukunft bringen würde, abgeschlossen. Und eins muss ich dieses Jahr aus der Sicht des Semestertickets lassen. Es war eine echte Achterbahnfahrt; mit einem kurzen Anstieg und einer langen Bergabfahrt. Aber gucken wir mal was dieses Jahr so alles passiert ist.
Wie funktioniert das Semesterticket?
Das Semesterticket funktioniert nach dem Solidarprinzip. Alle eingeschriebenen Studierenden einer Hochschule (bis auf wenige Ausnahmen) verpflichten sich, das Semesterticket als Teil des Semesterbeitrags zu bezahlen. Dafür zahlen sie einen deutlich günstigeren Preis, als wenn sie sich selbst darum kümmern müssten.
In Brandenburg und Berlin wird das Semesterticket von den Studierendenvertretungen der jeweiligen Hochschulen verhandelt. Als gewählte Vertreter*innen der Studierenden sind gesetzlich dazu legitimiert, für die Studierenden zu verhandeln. Vor der Unterzeichnung der Verträge werden in der Regel alle Studierenden einer Hochschule in einer Urwahl gefragt, ob sie mit dem Semesterticket einverstanden sind.
Die Semesterticket-Verträge müssen alle paar Jahre wieder verhandelt werden, zuletzt im Jahr 2020. Dafür haben sich brandenburgische und Berliner Studierendenvertretungen zum ersten Mal gemeinsam als Interessengemeinschaft Semesterticket Berlin/Brandenburg (IGSemTixBBB) zusammengeschlossen.
Der Rückblick
Kurz nach dem letzten Artikel vom 16.11.2020 fand die Urwahl an der FHP statt und sie hatte echt eine gute Wahlquote dafür, dass sie zusammen mit den Nachwahlen stattgefunden hat. Es waren alle 3.645 Studierende der FHP wahlberechtigt und insgesamt haben 397 Personen gewählt. Das macht eine gerundete Wahlbeteiligung von 10,9%. Und das Ergebnis kann sich auch sehen lassen: Von 397 Studierenden haben nur sechs gegen das Unterzeichnen des Semesterticketvertrags gestimmt.
Dann wurde im Dezember, zuerst in Berlin, ein Zuschuss fürs Semesterticket bewilligt und Brandenburg zog wenige Tage später nach. Er bewirkte, dass die Potsdamer Studierenden im SoSe 2021 und WiSe 2021/22 weiter nur 188,16 € zahlen mussten, während die Preise nach Vertrag um 10€ gestiegen. Der Zuschuss und das positive Urwahl-Ergebnis führten dazu, dass Vertreter*innen der Universität und der Fachhochschule Potsdam den Übergangsvertrag am 14.01.2021 im neuen Gebäude des VBBs am Ostbahnhof unterschrieben.
Für das Foto war dann auch der Staatssekretär Rainer Genilke des Ministeriums für Infrastruktur und Landesplanung (MIL) des Landes Brandenburg mit dabei.
Nächster Halt: 365-Euro-Ticket
Nachdem das Ticket für ein weiteres Jahr „gerettet“ war, hat sich die IGSemTixBBB nach einer zweimonatigen Pause an den nächsten Meilenstein gesetzt. Und zwar, dass die Studierendenvertreter*innen bei der nächsten Vertragsunterzeichnung für ein 365€/Jahr-Ticket unterschreiben.
Nach fast einem Jahr stellte sich der VBB offenbar auf die Position, dass man die Preise im Oktober 2020 im Aufsichtsrat so beschlossen hätte und die Studierenden sollten doch bitte mit der Politik reden, wenn sie billigere Preise für ihr Semesterticket wollten.
Während in der Berliner Politik ein gewisses Interesse bestand, ein einigermaßen bezahlbares Ticket für Studierende zu ermöglichen, ging in Brandenburg währenddessen der Streit um die Verantwortlichkeit los. Das hat damit angefangen, dass Studierende in die Verantwortung des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur (MWFK) fallen. Der Öffentliche Nahverkehr liegt aber offenbar beim MIL, welches auch schon beim Foto der Vertragsunterzeichnung vertreten war. Keines der Ministerien aus Brandenburg fühlte sich also angesprochen, die Studierenden bei diesem wichtigen Thema zu unterstützen.
Stattdessen war die Politik der Meinung, dass die Studierenden doch mit dem VBB und den dazugehörigen Verkehrsunternehmen reden sollen. Schließlich kam es am 16.09.2021 zu einer Demo, bei der symbolisch das Geld aller 50 Hochschulen aus Berlin und Brandenburg vor die Tür des VBB gelegt wurde.
Am selben Tag wurde von der Berliner Politik beschlossen, dass die Semesterticketpreise für ein weiteres Jahr durch Zuschüsse stabil gehalten werden sollen. In Brandenburg passierte auf politischer Seite nichts. Dies führte zu einer weiteren Demo am 11.11.2021 in Potsdam.
Demo in Potsdam: Danke für nichts
Am 11. November demonstrierten die brandenburgischen Studierenden vor dem MIL, dem MWFK und zum Schluss vor dem Landtag in Potsdam. Treffpunkt war vor dem MIL. Nach Ansprachen der Sprecher der IGSemTixBBB ist der Staatssekretär Genilke doch aus dem Gebäude gekommen und hat sich auf ein Gespräch eingelassen. Die IGSemTixBB hatte ihn wohl eingeladen, aber er hatte nicht geantwortet. Nicht alles, was er zu sagen hatte, wurde von den Studierenden positiv aufgenommen. Es endete darin, dass Staatssekretär Genilke über einen Kommentar der Studierenden seine Fassung verlor. #CappuccinoGate
Daraufhin zogen über 400 Studierende weiter vor das MWFK. Dort hielt der Sprecher der BRANDSTUVE (Brandenburgische Studierendenvertretung) Jonathan Wiegers eine Ansprache. Beim MWFK zeigte ein paar Mitarbeitende Interesse und standen vor dem Ministerium auf der Verkehrsinsel, wollten das Ganze aber nicht kommentieren.
Die Demo zog weiter zum Alten Markt. Vor dem Eingang zum Landtag sprachen verschiedene Politiker*innen von den Linken, Grünen und der SPD zu den Studierenden. Hierbei betonten eigentlich alle, wie wichtig dieses Ticket doch sei, und dass etwas wegen den Preissteigerungen getan werden müsse. Sie zeigten Verständnis für die aktuelle Situation der Studierenden, die durch die Corona-Pandemie immer noch nicht besonders rosig aussieht.
Am selben Tag – nur wenige Stunden nach der Demo – gab es eine Abstimmung dazu im Finanzausschuss. Die Partei die Linke hatte einen Antrag eingereicht, dass die Preise, genau wie in Berlin, mit Mitteln aus dem Corona-Fonds des Landes für ein weiteres Jahr eingefroren werden. Doch sie erhielten keine Mehrheit.
Studentische Urwahlen entscheiden
Vom 08.11. bis zum 12.11.2021 fand an der Viadrina-Universität Frankfurt (Oder) eine Urwahl zum Semesterticket und der Preissteigerung statt; das Angebot wurde mit einer Mehrheit von 54% Nein-Stimmen abgelehnt. Eine Woche später lehnte auch die Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde auf ihrer Vollversammlung ein Semesterticket zu den angebotenen Preisen mit 53% ebenfalls ab. Der VBB zeigte sich überrascht, dass Urwahlen nicht immer positiv für ein Semesterticket ausfallen.
Kommende Urwahlen
Die Studierenden der Uni Potsdam haben vom 07.12. bis zum 09.12.2021 die Möglichkeit über ihr Semesterticket abzustimmen.
An der FHP wird vom 13.12. bis zum 16.12.2021 die Stimmabgabe digital, zusammen mit den Nachwahlen, möglich sein.
Die BTU Cottbus-Senftenberg startet auch am 13.12. mit der Stimmabgabe, dort können die Studierenden bis zum am 17.12.2021 abstimmen.
Wie funktioniert eine Semesterticket-Urwahl?
An einer Urwahl können alle eingeschriebenen Studierenden einer Hochschule teilnehmen. Auf dem Wahlzettel wird das Angebot des Semestertickets vorgestellt; dieses Angebot kann in der Regel mit „Ja“ angenommen oder „Nein“ abgelehnt werden.
Die anderen Hochschulen in Brandenburg, TH Brandenburg und TH Wildau, die letztes Jahr nicht den dreijähringen Vertrag zu den Wunschpreisen des VBBs unterschrieben hatten, folgen in den kommenden Wochen mit ihren eigenen Urwahlen.
Und jetzt?
Zusammenfassend lässt sich sagen: es startete mit der Rettung für ein Jahr, und jetzt stehen wir möglicherweise davor, dass wir das Semesterticket zu Grabe tragen müssen, wenn a) alle Hochschulen mit Nein abstimmen, b) der VBB weiter auf seinen Preisen beharrt und c) die Politik nicht hilft. Dieser Gedanke macht mich traurig. Ich habe das schon in meinem ersten Artikel geschrieben: ich liebe das Semesterticket. Für mich ist es eine der Sachen, ohne die ich die Wohnung nicht verlasse. Damit ich es bloß nicht vergesse, ist es in einer Hülle an meinem Schlüsselbund.
Wobei ich natürlich auch den Frust verstehe, der hinter den Nein-Stimmen steckt. Wir sitzen jetzt (wieder) das vierte Semester in der digitalen Lehre und im Homeoffice; wir waren zwar kurz für einen Monat wieder in Präsenzlehre, aber selbst da hatte ich mehr Kurse digital, als vor Ort auf dem Campus.
Es wird auch nicht besser, wenn ich die Werbung vom VBB mit „2022 keine Preiserhöhung“ sehe. Für die Studierenden soll nämlich trotzdem der Preis von den aktuell bezuschussten 198,16€ auf 222,00€ steigen. Die beworbene Preisstabilität wird damit begründet, dass der VBB den Kund*innen wieder einen Grund geben will, mehr mit dem ÖPNV fahren zu wollen. Denn dem VBB sind die Fahrgäst*innen durch die Corona-Pandemie weggebrochen und diese Zahlen haben sich auch noch nicht wieder auf die Prä-Corona-Zeit erholt. Das ist für die Studierenden, die dem Verkehrsunternehmen, ob sie wollten oder nicht, die Treue gehalten haben, ein höhnisches Lachen ins Gesicht; nach dem Motto „um eure Gunst müssen wir uns nicht kümmern, da ihr ja eh zahlt“.
Bei der Werbung der BVG, wo sie singen, dass sie nicht mehr allein fahren wollen, geht mir allerdings das Herz auf, denn auch wir Studierende sitzen seit über anderthalb Jahren allein in unseren Wohnungen und starren unsere Rechner an und würden stattdessen lieber wieder mehr mit dem ÖPNV zu unseren Campussen fahren.
Trotzdem möchte ich nochmal betonen, dass wenn das Semesterticket nicht mehr existiert, sind wir in den Augen der Verkehrsunternehmen ganz gewöhnliche Kund*innen. Kurz: wenn du auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen bist, dann wird es teuer. Für ein Jahr Berlin ABC kann das 1.008€ bedeuten. Solltet ihr nur für die Vorlesungszeit da sein, dann ist das für eine Monatskarte 107€. So ungern ich Staatssekretär Genilke recht geben möchte, wir fahren schon momentan für einen genial günstigen Preis pro Tag durch Berlin und Brandenburg, auch noch mit den kommenden Preiserhöhungen. Momentan sind es 1,03€/Tag. Mit der geplanten Preiserhöhung ab dem SoSe 2023 (243€) sind es dann 1,33€/Tag.
Bei manchen Studierenden scheint auch der Glaube verbreitet zu sein, wenn es kein Semesterticket gibt, dass wir einfach auf das Azubiticket umsteigen können. Wenn das so einfach wäre, dann hätten alle Hochschulen in Berlin und Brandenburg den Vertrag letztes Jahr auslaufen lassen und alle, die wollen, würden sich das Azubiticket kaufen. Aber so läuft das leider nicht.
Was am Ende (dieses Artikels) bleibt, ist die Ungewissheit. Es bleibt definitiv spannend in den nächsten drei Wochen. Ich bin gespannt, wie die Studierenden der Uni Potsdam stimmen werden. Die Uni Potsdam hat die meisten Studierenden in Brandenburg. Sollte diese mit Nein stimmen, gehen dem VBB (ab dem SoSe 2022) ohne Preissteigerung etwa 4.954.000€, mit Preissteigerung 5.550.000€ verloren. Das wird dem VBB bestimmt wehtun, besonders nachdem sie sich ja auch beklagen, dass ihnen das Geld fehlt und ihnen die Regierungen aus Berlin und Brandenburg helfen sollen.
Ich bin aber auch gespannt, was an der FHP rauskommen wird. Falls alle FHP-Studierenden negativ abstimmen, sehen wir uns wahrscheinlich alle auf einer (digitalen) Beerdigung des Semestertickets.
Denkt also daran, ihr könnt vom 13.12. bis zum 16.12.2021 digital abstimmen. Also lest die Mails vom Wahlvorstand für weitere Infos.
Ich weiß, ich will meine Mails auch nicht mehr lesen, aber hier geht es um euer Semesterticket (und das aller zukünftigen Studierenden) und nicht um irgendeine unnötige Veranstaltung oder Preisverleihung. (Falls das die Person liest, die für den PR Newsletter zuständig ist, wo ist der Deabonnieren-Knopf?)
Bzgl. „Wenn das so einfach wäre, dann hätten alle Hochschulen in Berlin und Brandenburg den Vertrag letztes Jahr auslaufen lassen und alle, die wollen, würden sich das Azubiticket kaufen. Aber so läuft das leider nicht.“ → Warum geht das nicht, lässt der VBB sich darauf nicht ein? Wäre das nicht die beste Lösung?
Vermutlich durch andere Fördertöpfe gedeckt/mitfinanziert, die speziell Berufsausbildende unterstützt.
Ich finde das Semesterticket darf auf keinen Fall enden. Auch wenn es für manche momentan nicht so sinnvoll erscheint es abzuschließen, es gibt viel mehr Studierende, für die es ein sehr praktisch ist, es zu benutzen, wenn dann sollte lieber die Befreiung vom Ticket einfacher gemacht werden, aber für den immer noch sehr geringen Preis 6 Monatelang in Berlin und Brandenburg fahren zu können, ist ein Privileg was man nicht einfach aufgeben sollte. Es ist außerdem egoistisch und unsolidarisch gegenüber denen, die auf die ÖPNV angewiesen sind. Wer das Ticket nicht möchte, sollte sich davon befreien lassen. Peace
Das, glaub ich, ist eher schlecht, weil dann unsere eh schon (scheinbar) schlechte Verhandlungsposition noch schwieriger wird. Schließlich ist es dann nicht mehr der Betrag x für s Studentierende, sondern x‑s*p (p ist eine geschätzte und sehr unsichere Anzahl von Studierenden die nicht das Semesterticket mitbezahlen.)