Das Ende des Semestertickets in Brandenburg?

Einfahrende S-Bahn. Davor hält eine Hand einen Studierendenausweis.
© Nikolas Ripka

Und alle Jahre wieder grüßt uns das Problem: Semes­ter­ticket. In meinem letzten Artikel dazu hatte ich nach meinem eigenen Emp­finden mit einer gewissen Hoffnung und der Unge­wissheit, was die Zukunft bringen würde, abge­schlossen. Und eins muss ich dieses Jahr aus der Sicht des Semes­ter­ti­ckets lassen. Es war eine echte Ach­ter­bahn­fahrt; mit einem kurzen Anstieg und einer langen Berg­ab­fahrt. Aber gucken wir mal was dieses Jahr so alles pas­siert ist.

Wie funk­tio­niert das Semesterticket?

Das Semes­ter­ticket funk­tio­niert nach dem Soli­dar­prinzip. Alle ein­ge­schrie­benen Stu­die­renden einer Hoch­schule (bis auf wenige Aus­nahmen) ver­pflichten sich, das Semes­ter­ticket als Teil des Semes­ter­bei­trags zu bezahlen. Dafür zahlen sie einen deutlich güns­ti­geren Preis, als wenn sie sich selbst darum kümmern müssten.

In Bran­denburg und Berlin wird das Semes­ter­ticket von den Stu­die­ren­den­ver­tre­tungen der jewei­ligen Hoch­schulen ver­handelt. Als gewählte Vertreter*innen der Stu­die­renden sind gesetzlich dazu legi­ti­miert, für die Stu­die­renden zu ver­handeln. Vor der Unter­zeichnung der Ver­träge werden in der Regel alle Stu­die­renden einer Hoch­schule in einer Urwahl gefragt, ob sie mit dem Semes­ter­ticket ein­ver­standen sind.

Die Semes­ter­ticket-Ver­träge müssen alle paar Jahre wieder ver­handelt werden, zuletzt im Jahr 2020. Dafür haben sich bran­den­bur­gische und Ber­liner Stu­die­ren­den­ver­tre­tungen zum ersten Mal gemeinsam als Inter­es­sen­ge­mein­schaft Semes­ter­ticket Berlin/Brandenburg (IGS­em­TixBBB) zusam­men­ge­schlossen.

Der Rückblick

Kurz nach dem letzten Artikel vom 16.11.2020 fand die Urwahl an der FHP statt und sie hatte echt eine gute Wahl­quote dafür, dass sie zusammen mit den Nach­wahlen statt­ge­funden hat. Es waren alle 3.645 Stu­die­rende der FHP wahl­be­rechtigt und ins­gesamt haben 397 Per­sonen gewählt. Das macht eine gerundete Wahl­be­tei­ligung von 10,9%. Und das Ergebnis kann sich auch sehen lassen: Von 397 Stu­die­renden haben nur sechs gegen das Unter­zeichnen des Semes­ter­ti­cket­ver­trags gestimmt.

Dann wurde im Dezember, zuerst in Berlin, ein Zuschuss fürs Semes­ter­ticket bewilligt und Bran­denburg zog wenige Tage später nach. Er bewirkte, dass die Pots­damer Stu­die­renden im SoSe 2021 und WiSe 2021/22 weiter nur 188,16 € zahlen mussten, während die Preise nach Vertrag um 10€ gestiegen. Der Zuschuss und das positive Urwahl-Ergebnis führten dazu, dass Vertreter*innen der Uni­ver­sität und der Fach­hoch­schule Potsdam den Über­gangs­vertrag am 14.01.2021 im neuen Gebäude des VBBs am Ost­bahnhof unterschrieben.

Vier Personen stehen vor einer Wand mit dem VBB-Logo. Die zwei Studierenden halten ihren Vertrag in der Hand
vlnr: Rainer Genilke (MIL), Ilka Wellm (AStA FHP), Tilman Kolbe (StuPa UP) und Susanne Henckel (VBB). © Tilman Kolbe

Für das Foto war dann auch der Staats­se­kretär Rainer Genilke des Minis­te­riums für Infra­struktur und Lan­des­planung (MIL) des Landes Bran­denburg mit dabei. 

Nächster Halt: 365-Euro-Ticket

Nachdem das Ticket für ein wei­teres Jahr „gerettet“ war, hat sich die IGS­em­TixBBB nach einer zwei­mo­na­tigen Pause an den nächsten Mei­len­stein gesetzt. Und zwar, dass die Studierendenvertreter*innen bei der nächsten Ver­trags­un­ter­zeichnung für ein 365€/Jahr-Ticket unterschreiben.

Nach fast einem Jahr stellte sich der VBB offenbar auf die Position, dass man die Preise im Oktober 2020 im Auf­sichtsrat so beschlossen hätte und die Stu­die­renden sollten doch bitte mit der Politik reden, wenn sie bil­ligere Preise für ihr Semes­ter­ticket wollten.

Während in der Ber­liner Politik ein gewisses Interesse bestand, ein eini­ger­maßen bezahl­bares Ticket für Stu­die­rende zu ermög­lichen, ging in Bran­denburg wäh­rend­dessen der Streit um die Ver­ant­wort­lichkeit los. Das hat damit ange­fangen, dass Stu­die­rende in die Ver­ant­wortung des Minis­te­riums für Wis­sen­schaft, For­schung und Kultur (MWFK) fallen. Der Öffent­liche Nah­verkehr liegt aber offenbar beim MIL, welches auch schon beim Foto der Ver­trags­un­ter­zeichnung ver­treten war. Keines der Minis­terien aus Bran­denburg fühlte sich also ange­sprochen, die Stu­die­renden bei diesem wich­tigen Thema zu unterstützen.

Statt­dessen war die Politik der Meinung, dass die Stu­die­renden doch mit dem VBB und den dazu­ge­hö­rigen Ver­kehrs­un­ter­nehmen reden sollen. Schließlich kam es am 16.09.2021 zu einer Demo, bei der sym­bo­lisch das Geld aller 50 Hoch­schulen aus Berlin und Bran­denburg vor die Tür des VBB gelegt wurde. 

Studierende stellen große Geldsäcke vor den Eingang des VBB-Gebäudes.
Stu­die­rende demons­trieren vor dem VBB-Gebäude am 16.09.2021 © Ilka Wellm

Am selben Tag wurde von der Ber­liner Politik beschlossen, dass die Semes­ter­ti­cket­preise für ein wei­teres Jahr durch Zuschüsse stabil gehalten werden sollen. In Bran­denburg pas­sierte auf poli­ti­scher Seite nichts. Dies führte zu einer wei­teren Demo am 11.11.2021 in Potsdam. 

Demo in Potsdam: Danke für nichts

Am 11. November demons­trierten die bran­den­bur­gi­schen Stu­die­renden vor dem MIL, dem MWFK und zum Schluss vor dem Landtag in Potsdam. Treff­punkt war vor dem MIL. Nach Ansprachen der Sprecher der IGS­em­TixBBB ist der Staats­se­kretär Genilke doch aus dem Gebäude gekommen und hat sich auf ein Gespräch ein­ge­lassen. Die IGS­em­TixBB hatte ihn wohl ein­ge­laden, aber er hatte nicht geant­wortet. Nicht alles, was er zu sagen hatte, wurde von den Stu­die­renden positiv auf­ge­nommen. Es endete darin, dass Staats­se­kretär Genilke über einen Kom­mentar der Stu­die­renden seine Fassung verlor. #Cap­puc­ci­noGate

Dar­aufhin zogen über 400 Stu­die­rende weiter vor das MWFK. Dort hielt der Sprecher der BRANDSTUVE (Bran­den­bur­gische Stu­die­ren­den­ver­tretung) Jonathan Wiegers eine Ansprache. Beim MWFK zeigte ein paar Mit­ar­bei­tende Interesse und standen vor dem Minis­terium auf der Ver­kehrs­insel, wollten das Ganze aber nicht kommentieren. 

Die Demo zog weiter zum Alten Markt. Vor dem Eingang zum Landtag sprachen ver­schiedene Politiker*innen von den Linken, Grünen und der SPD zu den Stu­die­renden. Hierbei betonten eigentlich alle, wie wichtig dieses Ticket doch sei, und dass etwas wegen den Preis­stei­ge­rungen getan werden müsse. Sie zeigten Ver­ständnis für die aktuelle Situation der Stu­die­renden, die durch die Corona-Pan­demie immer noch nicht besonders rosig aussieht. 

Am selben Tag – nur wenige Stunden nach der Demo – gab es eine Abstimmung dazu im Finanz­aus­schuss. Die Partei die Linke hatte einen Antrag ein­ge­reicht, dass die Preise, genau wie in Berlin, mit Mitteln aus dem Corona-Fonds des Landes für ein wei­teres Jahr ein­ge­froren werden. Doch sie erhielten keine Mehrheit.

Studentische Urwahlen entscheiden

Vom 08.11. bis zum 12.11.2021 fand an der Via­drina-Uni­ver­sität Frankfurt (Oder) eine Urwahl zum Semes­ter­ticket und der Preis­stei­gerung statt; das Angebot wurde mit einer Mehrheit von 54% Nein-Stimmen abge­lehnt. Eine Woche später lehnte auch die Hoch­schule für nach­haltige Ent­wicklung Ebers­walde auf ihrer Voll­ver­sammlung ein Semes­ter­ticket zu den ange­bo­tenen Preisen mit 53% eben­falls ab. Der VBB zeigte sich über­rascht, dass Urwahlen nicht immer positiv für ein Semes­ter­ticket ausfallen. 

Kom­mende Urwahlen

Die Stu­die­renden der Uni Potsdam haben vom 07.12. bis zum 09.12.2021 die Mög­lichkeit über ihr Semes­ter­ticket abzustimmen.

An der FHP wird vom 13.12. bis zum 16.12.2021 die Stimm­abgabe digital, zusammen mit den Nach­wahlen, möglich sein.

Die BTU Cottbus-Senf­tenberg startet auch am 13.12. mit der Stimm­abgabe, dort können die Stu­die­renden bis zum am 17.12.2021 abstimmen.

Wie funk­tio­niert eine Semesterticket-Urwahl?

An einer Urwahl können alle ein­ge­schrie­benen Stu­die­renden einer Hoch­schule teil­nehmen. Auf dem Wahl­zettel wird das Angebot des Semes­ter­ti­ckets vor­ge­stellt; dieses Angebot kann in der Regel mit „Ja“ ange­nommen oder „Nein“ abge­lehnt werden.

Die anderen Hoch­schulen in Bran­denburg, TH Bran­denburg und TH Wildau, die letztes Jahr nicht den drei­jäh­ringen Vertrag zu den Wunsch­preisen des VBBs unter­schrieben hatten, folgen in den kom­menden Wochen mit ihren eigenen Urwahlen. 

Und jetzt?

Zusam­men­fassend lässt sich sagen: es startete mit der Rettung für ein Jahr, und jetzt stehen wir mög­li­cher­weise davor, dass wir das Semes­ter­ticket zu Grabe tragen müssen, wenn a) alle Hoch­schulen mit Nein abstimmen, b) der VBB weiter auf seinen Preisen beharrt und c) die Politik nicht hilft. Dieser Gedanke macht mich traurig. Ich habe das schon in meinem ersten Artikel geschrieben: ich liebe das Semes­ter­ticket. Für mich ist es eine der Sachen, ohne die ich die Wohnung nicht ver­lasse. Damit ich es bloß nicht ver­gesse, ist es in einer Hülle an meinem Schlüsselbund. 

Wobei ich natürlich auch den Frust ver­stehe, der hinter den Nein-Stimmen steckt. Wir sitzen jetzt (wieder) das vierte Semester in der digi­talen Lehre und im Home­office; wir waren zwar kurz für einen Monat wieder in Prä­senz­lehre, aber selbst da hatte ich mehr Kurse digital, als vor Ort auf dem Campus.

Für die Stu­die­renden soll der Preis von 198,16€ auf 222,00€ steigen

Es wird auch nicht besser, wenn ich die Werbung vom VBB mit „2022 keine Preis­er­höhung“ sehe. Für die Stu­die­renden soll nämlich trotzdem der Preis von den aktuell bezu­schussten 198,16€ auf 222,00€ steigen. Die beworbene Preis­sta­bi­lität wird damit begründet, dass der VBB den Kund*innen wieder einen Grund geben will, mehr mit dem ÖPNV fahren zu wollen. Denn dem VBB sind die Fahrgäst*innen durch die Corona-Pan­demie weg­ge­brochen und diese Zahlen haben sich auch noch nicht wieder auf die Prä-Corona-Zeit erholt. Das ist für die Stu­die­renden, die dem Ver­kehrs­un­ter­nehmen, ob sie wollten oder nicht, die Treue gehalten haben, ein höh­ni­sches Lachen ins Gesicht; nach dem Motto „um eure Gunst müssen wir uns nicht kümmern, da ihr ja eh zahlt“.

Bei der Werbung der BVG, wo sie singen, dass sie nicht mehr allein fahren wollen, geht mir aller­dings das Herz auf, denn auch wir Stu­die­rende sitzen seit über anderthalb Jahren allein in unseren Woh­nungen und starren unsere Rechner an und würden statt­dessen lieber wieder mehr mit dem ÖPNV zu unseren Cam­pussen fahren.

Trotzdem möchte ich  nochmal betonen, dass wenn das Semes­ter­ticket nicht mehr exis­tiert, sind wir in den Augen der Ver­kehrs­un­ter­nehmen ganz gewöhn­liche Kund*innen. Kurz: wenn du auf den öffent­lichen Nah­verkehr ange­wiesen bist, dann wird es teuer. Für ein Jahr Berlin ABC kann das 1.008€ bedeuten. Solltet ihr nur für die Vor­le­sungszeit da sein, dann ist das für eine Monats­karte 107€. So ungern ich Staats­se­kretär Genilke recht geben möchte, wir fahren schon momentan für einen genial güns­tigen Preis pro Tag durch Berlin und Bran­denburg, auch noch mit den kom­menden Preis­er­hö­hungen. Momentan sind es 1,03€/Tag. Mit der geplanten Preis­er­höhung ab dem SoSe 2023 (243€) sind es dann 1,33€/Tag. 

Bei manchen Stu­die­renden scheint auch der Glaube ver­breitet zu sein, wenn es kein Semes­ter­ticket gibt, dass wir einfach auf das Azu­bi­ticket umsteigen können. Wenn das so einfach wäre, dann hätten alle Hoch­schulen in Berlin und Bran­denburg den Vertrag letztes Jahr aus­laufen lassen und alle, die wollen, würden sich das Azu­bi­ticket kaufen. Aber so läuft das leider nicht.

Was am Ende (dieses Artikels) bleibt, ist die Unge­wissheit.  Es bleibt defi­nitiv spannend in den nächsten drei Wochen.  Ich bin gespannt, wie die Stu­die­renden der Uni Potsdam stimmen werden. Die Uni Potsdam hat die meisten Stu­die­renden in Bran­denburg. Sollte diese mit Nein stimmen, gehen dem VBB (ab dem SoSe 2022) ohne Preis­stei­gerung etwa 4.954.000€, mit Preis­stei­gerung 5.550.000€ ver­loren. Das wird dem VBB bestimmt wehtun, besonders nachdem sie sich ja auch beklagen, dass ihnen das Geld fehlt und ihnen die Regie­rungen aus Berlin und Bran­denburg helfen sollen. 

Ich bin aber auch gespannt, was an der FHP raus­kommen wird. Falls alle FHP-Stu­die­renden negativ abstimmen, sehen wir uns wahr­scheinlich alle auf einer (digi­talen) Beer­digung des Semestertickets.

Denkt also daran, ihr könnt vom 13.12. bis zum 16.12.2021 digital abstimmen. Also lest die Mails vom Wahl­vor­stand für weitere Infos.

Ich weiß, ich will meine Mails auch nicht mehr lesen, aber hier geht es um euer Semes­ter­ticket (und das aller zukünf­tigen Stu­die­renden) und nicht um irgendeine unnötige Ver­an­staltung oder Preis­ver­leihung. (Falls das die Person liest, die für den PR News­letter zuständig ist, wo ist der Deabonnieren-Knopf?) 

4 Kommentare

  1. Bzgl. „Wenn das so einfach wäre, dann hätten alle Hoch­schulen in Berlin und Bran­denburg den Vertrag letztes Jahr aus­laufen lassen und alle, die wollen, würden sich das Azu­bi­ticket kaufen. Aber so läuft das leider nicht.“ → Warum geht das nicht, lässt der VBB sich darauf nicht ein? Wäre das nicht die beste Lösung?

    1. Ver­mutlich durch andere För­der­töpfe gedeckt/mitfinanziert, die spe­ziell Berufs­aus­bil­dende unterstützt.

  2. Ich finde das Semes­ter­ticket darf auf keinen Fall enden. Auch wenn es für manche momentan nicht so sinnvoll erscheint es abzu­schließen, es gibt viel mehr Stu­die­rende, für die es ein sehr prak­tisch ist, es zu benutzen, wenn dann sollte lieber die Befreiung vom Ticket ein­facher gemacht werden, aber für den immer noch sehr geringen Preis 6 Mona­telang in Berlin und Bran­denburg fahren zu können, ist ein Pri­vileg was man nicht einfach auf­geben sollte. Es ist außerdem ego­is­tisch und unso­li­da­risch gegenüber denen, die auf die ÖPNV ange­wiesen sind. Wer das Ticket nicht möchte, sollte sich davon befreien lassen. Peace

    1. Das, glaub ich, ist eher schlecht, weil dann unsere eh schon (scheinbar) schlechte Ver­hand­lungs­po­sition noch schwie­riger wird. Schließlich ist es dann nicht mehr der Betrag x für s Stu­den­tie­rende, sondern x‑s*p (p ist eine geschätzte und sehr unsi­chere Anzahl von Stu­die­renden die nicht das Semes­ter­ticket mitbezahlen.)

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