Die alte Fachhochschule am Alten Markt steht nicht mehr. Im Zentrum Potsdams klafft ein großes Loch. Übrig geblieben sind die „Sterne“, Fassadenelement des Gebäudes. Über ein Jahr nach dem Abriss des Gebäudes treffe ich Henryk, Studierender der Metallrestaurierung. Gemeinsam betreten wir das Werkstattgebäude auf dem Campus Kiepenheuerallee, im Norden der Stadt, dem mittlerweile einzigen Standort der FHP. Hier begegnen wir auch den „FH-Sternen“, im folgenden „die Sterne“ genannt.
„Sie sind direkt nach der Sicherung von der Fassade zu uns gekommen“, erzählt uns Henryk auf dem Weg durch die Metallwerkstatt, vorbei an historischen Artefakten, Statuen und Metallschrott. „Wir waren bei der Demontage anwesend und haben auch den Transport begleitet. Sie wurden von einer Firma in großen Stücken abgenommen. Anschließend lösten Studierende der Metallrestaurierung die Schraubverbindungen und zerlegten die Stücke in einzelne Segmente, bestehend aus je 4 Sternen. Einige der Sterne wurden in die FH transportiert und werden seitdem dort gelagert, andere wurden verkauft oder verteilt. Es gab keinen Plan, keine große Antwort auf die Frage Wohin damit?“
Henryk war Teil einer Projektgruppe von Studierenden, die sich mit den „Sternen“ befasst hat. „Unser Anliegen war die Bestandsaufnahme der Sterne, bezüglich Material, Montage und Geschichte. Zusätzlich sollten wir ein theoretisches Konzept der Demontage erstellen.“
Das Gebäude am Alten Markt hatte schon Geschichte als Bildungseinrichtung, bevor die Fachhochschule den Standort bezog. Es beherbergte das Institut für Lehrerbildung (kurz: IfL), dort wurden Lehrerinnen für die Unterstufe ausgebildet. Die Fassadensterne sollten das Gebäude dekorieren, den ansonsten eher industriellen Charme des Gebäudes etwas ausgleichen. Der Architekt Wolfgang Kärger kreierte dazu den Entwurf. Zunächst in Form eines Miniatur-Modells aus Papier.
„Es entstand dann eine aus 120 einzelnen Sternen bestehende Fassadenverkleidung, in 6‑facher Ausführung, welche an der Ost- und Westfassade zwischen den Fenstern zu sehen war.“, sagt Henryk während er sich durch einen Ordner klickt, den die Studierenden im Rahmen ihres Forschungsprojektes zu den Sternen angelegt haben. „Eine Sonderanfertigung zur gestalterischen Akzentuierung, die von der VEB-Baunorm der DDR abwich.“.
In dem Zeitraum, in dem die Studierenden ihr Projekt durchführten, standen die alte Fachhochschule und die „Sterne“ schon eine Weile in der Potsdamer Öffentlichkeit. Es hatte sich ein Bündnis gebildet, welches das Gebäude erhalten wollte. Eine gute Gelegenheit für angehende Restauratorinnen, mit stadtpolitischen Diskursen in Kontakt zu kommen, besonders wenn diese Diskurse Objekte berühren, die auch die Restaurierung praktisch beschäftigen.
„Über kulturellen Wert zu entscheiden“, sagt Henryk, „obliegt normalerweise der Denkmalpflege und nicht dem Restaurator.“ Denkmalpfleger und Restaurateure müssen in diesem Fall dringend mehr Haltung zeigen in Sachen Stadtentwicklung. Die Entscheidung, was restauriert wird und was nicht, sollte nicht vom Kapital bestimmt werden. Welche Kulturgüter erhalten werden, ist unabhängig vom Zeitgeist zu beantworten. Wie können wir geschichtliche Zeugnisse als Originale sichern und bewahren, aber dennoch im öffentlichen Raum belassen?
Im Rahmen der Kunstaktion „Sterne sehen“ sind die FH-Sterne im Potsdamer Stadtbild wieder sichtbar geworden, an Fassaden von Häusern und Projekten. Als Druck wurden sie zum Motiv für Beutel, T‑Shirts und Plakate. Ihre Trägerinnen wollen Haltung beziehen. Die Themen, die mit diesem Motiv assoziiert werden können, sind vielfältig: Gentrifizierung, Privatisierung, Stadtpolitik, Wohnraum, Öffentlichkeit, Basisdemokratie, Utopien, Kunst und Kultur. „Man hätte sich wahrscheinlich nie vorstellen können“, sagt Henryk, „welche Bedeutung die Sterne Jahre später einmal tragen würden.“
Die Begriffe Restaurierung und Restauration beschreiben nicht dasselbe, in Bezug auf die Potsdamer Stadtplanung verschwimmen die Bedeutungen der beiden aber zunehmend im Dunst der Rekonstruktion einer historischen Innenstadt. Was dabei übersehen wird: die Gegenwart ist in Zukunft historisch. „Je jünger die Zeit, aus der die Objekte stammen“, bestätigt Henryk, „desto schwieriger ist es, die Öffentlichkeit von deren Relevanz zu überzeugen. Zusätzlich spielt auch eine gewisse Ästhetik, vor allem bei Gebäuden, eine große Rolle für die allgemeine Akzeptanz. Diese Sichtweise ist aber immer durch die Zeit geprägt und daher kein sinnvolles Kriterium.“
Immer wieder geht es in Potsdam um den Erhalt von historischen Bau- oder Kunstwerken. Viele der preußischen Baudenkmäler sind schon restauriert worden oder werden es bald – ermöglicht durch öffentliche Gelder, aber auch durch Spenden privater Förderer an die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (SPSG). Restauriert wurden u.A.: die Neptungrotte, Teile des Orangerieschlosses und des Neuen Palais im Park Sanssouci, das Marmorpalais und das Schloss Cecilienhof im Neuen Garten.
Dagegen sind die Diskussionen um Gebäude, die der Nachkriegsmoderne zugeordnet werden, stärker geprägt durch Uneinigkeit über den kulturellen und ästhetischen Wert eben jener Objekte. Es fehlt an Bewusstsein, für die schöpferischen Kunststücke dieser Epoche. Abgerissen wurden u.A.: das Haus des Reisens an der Friedrich-Ebert-Str./Ecke Yorckstraße, die alte Fachhochschule und bei der alten Schwimmhalle am Brauhausberg hat der Abriss vor Kurzem begonnen.
Allerdings gilt: Wo ein Mäzen ist, ist häufig auch ein Weg in Richtung Restaurierung. Auf die Frage nach der Finanzierung solcher Vorhaben lautet die Antwort im Falle des ehemaligen Restaurants „Minsk“: die Hasso-Plattner-Stiftung. Dort soll in Zukunft Kunst ausgestellt werden, die in der DDR entstanden ist. Monate zuvor wurde auch hier über einen Abriss diskutiert.
„Eigentlich gibt es keine Zweifel bezüglich des kulturellen Werts von Objekten und Bauwerken aus DDR-Zeiten innerhalb der Restaurierung.“, sagt Henryk. „Man schätzt als Restaurator die Aussagekraft der Originalsubstanz.“ Diese Kunst- und Bauwerke sind ein Zeugnis der Geschichte. Und es ist wichtig herauszustellen, dass preußische Werke nicht nur materiell eine andere Geschichte erzählen, als Werke der sogenannten „DDR-Moderne“.
Ein Porträt Friedrichs des II. hat auch ideell wenig gemeinsam mit einem Mosaik von Fritz Eisel. Und so bleibt festzuhalten, dass alle preußischen Schlösser, sind sie auch restauriert und konserviert, trotzdem nicht den historischen Wert eines (auch vom Abriss bedrohten) Potsdamer Rechenzentrums ersetzen können. Die rekonstruierten Gebäude und Fassaden, wie Stadtschloss oder Barberini, sowieso nicht. Der Wunsch nach Erhalt von Gebäuden, die zwischen 1945 und 1989 gebaut worden sind, erschöpft sich nicht in dem Wort „Ostalgie“. Es geht auch nicht darum, ob jedem einzelnen die Architektur der DDR persönlich gefällt oder nicht gefällt.
„In erster Linie“, sagt Henryk, „geht es um die Sicherung und Konservierung von Informationen, welche danach von anderen wissenschaftlichen Zweigen weiterverarbeitet und verwendet werden können.” So der Restaurator. Der Kulturarbeiterin, die diesen Artikel schreibt, geht es vor allem um öffentlichen Raum für emanzipatorische Projekte und um Kunst, die über die Verhältnisse hinausweist.
Am 16. Juli 2017, im Rahmen des Protestcamps für den Erhalt des alten FH-Gebäudes am Alten Markt, strichen zwei Menschen einen Teil der Fassade im Original-Farbton – ein selbstorganisierter Akt der Restaurierung. Die FH-Leitung reagierte zunächst mit einer Strafanzeige, die später zurückgezogen wurde.
So politisch kann Restaurierung sein.
(Henryk konnte mir noch nichts darüber sagen, wann die eingelagerten Sterne wieder öffentlich sichtbar sein werden. Seines Wissens nach, gibt es bisher keine konkreten Pläne.) Hinweis: Der Artikel wurde bereits im August 2019 eingesandt. Es kann sein, dass es mittlerweile Neuigkeiten gibt, was den Verbleib der FH-Sterne angeht.
Über das Projekt
Dieser Beitrag ist im Kurs „Presse- und Öffentlichkeitsarbeit in der Restaurierung“ entstanden, eine Kooperation zwischen den Studiengängen Kulturarbeit und Konservierung & Restaurierung unter der Leitung von Prof. Dr. Julia Glesner und Prof. Dr. Angelika Rauch im Sommersemester 2019.
Mitwirkende
Franziska Otto
Es gibt Vorstellungen, die Sterne wieder Am Alten Markt an/in den neuen Gebäuden zu verorten. Die Potsdamer Wohnungsgenossenschaften haben bei der Neugestaltung diese Möglichkeit berücksichtigt. Wenn der Wille da ist, kann mit der Umsetzungsplanung begonnen werden.
Hallo, ich war selbst Studentin der FH und würde gern Sterne erwerben wollen. Gibt es diese Möglichkeit?
„Einfach so“ ist es nicht möglich. Tut mir Leid.