2022 wurde bei den studentischen Gremienwahlen ein neuer Tiefpunkt erreicht. Bei fast allen Gremien haben sich nicht genug Studierende aufstellen lassen, wie Plätze verfügbar sind. Das heißt unterm Strich, dass Studierende in wichtigen Gremien der Hochschule ihre Stimme verlieren und die rein studentische Gremien nicht arbeitsfähig sind.
Es tut weh, zu beobachten, wie studentische Plätze nicht besetzt bleiben. Dass gerade die Studierenden als größte Statusgruppe der Hochschule ihre Rechte nicht wahrnehmen, ist eine Schande. Jene Mitbestimmungsrechte, die lange erkämpft wurden, bleiben einfach unbesetzt.
Besonders gravierend war die Situation in den Fachbereichsräten: in drei von fünf Fachbereichen hat sich überhaupt keine Person aufstellen lassen, bei einem nur eine einzige. Somit verlieren die Studierenden ihre wertvollste und mächtigste Stimme im Fachbereich – und das, wo sie bei vielen Themen sogar einen Stimmenanteil von 30% haben! Auch beim AStA, beim Senat und den StuRen wurden nicht alle verfügbaren Plätze besetzt, wie die Grafik zeigt.
Besonders deutlich wird die schlechte Situation, wenn man sich die Anzahl an StuRa-Kandidat*innen der letzten 12 Jahre anschaut.
Ein voll besetzter StuRa besteht nämlich aus 10 Personen. Bei 10 oder weniger Kandidat*innen werden somit alle automatisch in das Gremium gewählt, wenn sie mindestens eine Stimme erhalten. Damit Studierende also überhaupt eine Wahl zwischen den Kandidat*innen treffen können, müssten mindestens 11 Personen kandidieren. Bei 11 oder mehr Kandidat*innen kommt es zudem zu Nachrücker*innen, die als Stellvertreter*innen fungieren, wenn jemand mal nicht an einer Sitzung teilnehmen kann (was durchaus vorkommt) und können den Platz auch sofort besetzen, wenn ein Mitglied das Gremium frühzeitig verlässt (was auch öfters vorkommt).
Die Marke der 10 Personen bei den StuRen wurde in den letzten Jahren allerdings gerade so erreicht; vor allem von den Fachbereichen STADT | BAU | Kultur und Design. Doch gerade beim Fachbereich STADT | BAU | KULTUR sah es dieses Jahr katastrophal aus: nur eine Person hat sich für den StuRa aufstellen lassen. Eine! Das ist gerade beim StuRa ziemlich lästig, denn laut Satzung der Studierendenschaft kann sich dieser nur dann bilden, wenn er mindestens drei Mitglieder hat. Dass sich ein StuRa aus diesem Grund nicht bilden kann, kam bisher übrigens nur einmal im Jahr 2019 vor.
Doch woran liegt das?
Mögliche Ursachen
Dass nicht alle an Hochschulpolitik interessiert sind, ist zu erwarten. Jede*r Studierende*r verfolgt mit dem Studium ja eigene, persönliche Ziele. Wer beispielsweise schnell mit dem Studium fertig werden möchte und wenig Interesse am Campusleben hat, wird eher nicht an einem ehrenamtlichen Engagement interessiert sein. Das ist auch vollkommen okay, und diese Studierenden können vermutlich so oder so nicht erreicht werden.
Doch was ist mit den Studierenden, die gerne an der Hochschule studieren und durchaus offen dafür wären, diese mitzugestalten? Auch hier spielen die Lebensumstände eine Rolle. Ganze zwei Drittel der Studierenden hat während der Vorlesungszeit einen Nebenjob, und somit eine zusätzliche Belastung neben dem Studium. [1] Familienaufgaben kommen noch dazu. Nicht zu unterschätzen ist auch der Druck, das Studium in Regelstudienzeit abzuschließen. Besonders arbeitsintensive Studiengänge sowie Praxis- und Auslandssemester lassen auch nicht mehr viel Zeit für Ehrenamt übrig.
In anderen Worten: selbst interessierte Studierende können sich unter Umständen kein ehrenamtliches Engagement im Bereich der Hochschulpolitik leisten. Oder wollen in ihrer freien Zeit lieber etwas anderes machen. Vielleicht wissen sie auch gar nicht genau, was sie alles machen können. Dabei gibt es viele Möglichkeiten, sich hochschulpolitisch zu engagieren: die Wahlvorstände müssen sich nur ein paar Mal im Jahr treffen, wenn überhaupt. Die Sitzungen der Fachbereichsräte und des Senates müssen zwar gut vorbereitet werden, finden aber nur einmal im Monat statt. Wer etwas mehr Zeit hat, kann sich im StuRa die Arbeit unter zehn Personen aufteilen. Und im AStA erhalten die Mitglieder eine monatliche Aufwandsentschädigung.
Dass sich in den letzten Jahren immer wieder Kandidat*innen gefunden haben, zeigt ja, dass genug Studierende infrage kommen. Man muss sie nur erreichen. Doch wer ist für die Suche von Kandidat*innen zuständig? Ganz klar: die Studierendenvertretungen, insbesondere die studentische Selbstverwaltung, da diese die Mitglieder und die Mittel dafür hat. Der StuRa ist dabei für den Nachwuchs im eigenen Fachbereich verantwortlich. Der AStA ist wiederum für seine sowie für die Senatskandidat*innen verantwortlich, und sollte im Optimalfall eine gemeinsame Kampagne aller studentischen Gremien koordinieren.
Doch genau das ist dieses Jahr nicht passiert. Es gab zwar schöne Plakate, aber zu wenig und zu spät; keine Vorstellung der Kandidat*innen, keine koordinierten Aktionen, und dazu ein digitales Wahlportal, welches schnell untergeht, wenn nicht darauf hingewiesen wird. Die Situation in diesem Jahr war ein gutes Beispiel dafür, was passiert, wenn die Gremien ihre Arbeit nicht machen. Sie tragen die volle Verantwortung dafür. Wer sonst soll sich denn um die Nachwuchsgewinnung kümmern, wenn nicht sie? Darum, dass die Studierenden ihr Mitbestimmungsrecht wahrnehmen und die Plätze, die ihnen zustehen, verdammt nochmal besetzen?
Wie die Wahl gerettet wurde
Eigentlich hätten die Studierenden mit diesem katastrophalen Ergebnis leben müssen. Die Frist war vorbei, die Wahlen fanden statt, und studentische Plätze blieben unbesetzt. Zumindest bis zum Ende des Jahres; im November hätte sicher eine Nachwahl stattgefunden, um die freien Plätze zu besetzen. Da die reguläre Amtszeit aber bereits am 1. Oktober beginnt, würden die freien Plätze mindestens zwei Monate unbesetzt bleiben, und die Studierenden in der Zeit ihre Stimme verlieren.
Doch dieser Tiefpunkt sollte nicht das Ende der Geschichte sein. Entgegen aller Erwartungen schaffte es die studentische Vizepräsidentin, Elena Langner, den studentischen Gremien eine zweite Chance zu geben. In Zusammenarbeit mit dem AStA konnte sie nämlich in letzter Minute die Hochschulleitung und den zentralen Wahlvorstand überzeugen, eine – mit Kosten verbundene – Nachwahl nicht erst im kommenden Semester, sondern nur wenige Wochen später stattfinden zu lassen.
Innerhalb von wenigen Tagen wurde eine neue Kampagne gestartet, mehrere verzweifelte, aber gut gemachte E‑Mails versendet, und alles dafür getan, um neue Kandidat*innen zu finden. Und siehe da: wie durch ein Wunder konnten tatsächlich so gut wie alle verfügbaren Plätze besetzt werden. Das ist eine große Leistung, denn dadurch können studentische Mitglieder regulär ab dem 1. Oktober mit ihrer Arbeit beginnen. Nebenbei wird ein historischer Tiefpunkt in gewisser Weise rückgängig gemacht.
Wenn die beide Wahlen zusammengerechnet werden, kann im historischen Vergleich die Anzahl an StuRa-Kandidat*innen sogar mit dem Durchschnitt der erfolgreichsten letzten Jahre mithalten. Das ist wirklich nicht schlecht, zeigt aber auch, dass das Problem durchaus an der (mangelnden) Suche der Kandidat*innen liegt, und nicht nur am geringen Interesse der Studierenden.
Die öffentlichkeitswirksame Kampagne war zudem nicht nur bei der Suche von Kandidat*innen erfolgreich; auch die Wahlbeteiligung erhöhte sich bei der Nachwahl leicht und war durchschnittlich sogar ein bisschen besser als im Vorjahr.
Kurz: die Studierenden hatten dieses Jahr verdammt viel Glück.
Doch wie kann so eine Situation überhaupt erst verhindert werden?
Werbung, Werbung, Werbung
Ein paar Gedanken dazu, was die Studierendenvertretungen in Zukunft vermehrt machen können.
- Nicht nur in der Wahlzeit ist Werbung für die Gremien wichtig; das ganze Jahr über müssen die studentischen Gremien sichtbar sein und zeigen, was sie gerade tun. Die StuRen und der AStA sollten dabei sowohl online als auch auf dem Campus Präsenz zeigen und in regelmäßigen Abständen gemeinsam auftreten und Projekte durchführen.
- Gremienmitglieder sollten versuchen, auch im Studienalltag vermehrt als Multiplikator*innen ihrer hochschulpolitischen Arbeit zu fungieren, um andere zu inspirieren und sie zu ermuntern, selbst aktiv zu werden.
- Das ganze Jahr über, aber besonders vor den Wahlen sind gut durchdachte, transparente Informations- und Werbekampagnen wichtig, um Studierende zu erreichen und um sie überhaupt über die Arbeit der Gremien aufzuklären. Alle StuRen und der AStA müssen dabei an einem Strang ziehen, und frühzeitig über alle möglichen Kanäle informieren.
- Doch Plakate und Insta-Posts reichen nicht aus – die Suche muss auch direkt zu den Studis! Die Studierendenvertretungen sollten Seminare und Vorlesungen besuchen, eigene Stände aufbauen, sowie Stammtische und Grillabende organisieren, um mit Studierenden wirklich ins Gespräch zu kommen.
- Dabei ist der persönliche Kontakt unfassbar wichtig. Viele Gremienmitglieder erzählen, dass die persönliche Ansprache von Kommiliton:innen oder Lehrenden letztendlich ausschlaggebend für ihre eigene Kandidatur war.
- Und zu guter Letzt: das Ziel der Nachwuchsgewinnung sollte nicht nur darin bestehen sein, die Mindestanzahl an möglichen Plätzen gerade so zu erreichen. Es sollten sich immer möglichst viele aufstellen – nur so gibt es eine richtige Wahl, und nur so entstehen Nachrücker:innen.
Dieses Jahr wurde die Wahl gerade noch gerettet. An die neue Studierendenvertretung: bitte macht was draus.
Quelle:
1. Die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in Deutschland 2016. 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks, durchgeführt vom Deutschen Zentrum für Hochschul-und Wissenschaftsforschung.
Ein sehr interessanter Artikel. Hoffentlich schaffen es Gremien wieder mehr hochschulpolitisch zusammen zu arbeiten, denn auch dass will gelernt sein. Werden solche Inhalte nicht vermittelt an der Hochschule, sind Gremien davon abhängig, dass Studierende diese Skills aus Erfahrungen außerhalb des Hochschulkontextes mitbringen. Politische Bildung und Engagement sollte schon so früh wie möglich gefördert werden in unserer Gesellschaft, so wie in der Hochschule auch außerhalb der Gremienverantwortung.